Liebe auf den zweiten Blick
Amelia die erste Portion. Sie will doch nicht zu spät zur Arbeit kommen.” Rosemary ging eilig hinaus.
Amelia starrte auf ihren Teller. Sie fand die Vorstellung entsetzlich, in die Bibliothek zurückgehen zu müssen, und sich mit
den Leuten auseinander zu setzen, die hinter ihrem Rücken über sie geredet hatten.
Wilhemina sah, wie nervös ihre Nichte war. „Lass dich nicht unterkriegen, Amelia! Lass sie ruhig reden. Wir kennen die Wahrheit.”
Amelia bemühte sich, die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Sie hatte deswegen
bereits genug geweint. „Ja, Ma’am.”
„Gut. Jetzt hilf mir mit den Pfannkuchen, sonst kommst du zu spät. Wir wollen doch nicht, dass jemand denkt, du würdest dich verstecken, oder?”
Amelia starrte ihre Tante an, als würde sie sie plötzlich in einem ganz anderen Licht sehen.
„Nein. Beauchamp-Frauen verstecken sich nicht, oder?”
Die alte Frau hielt inne und sah ihre Nichte an. „Ich weiß nicht, Liebes. Wenn wir uns nicht vor der Tatsache versteckt hätten, dass die Zeiten sich ändern und das Leben weitergeht, wärst du nicht dazu getrieben worden, uns zu hintergehen, oder?”
Dazu gab es nichts zu sagen. Wilhemina beschäftigte sich mit den Pfannkuchen, während Amelia über das Gespräch nachdachte. Einen kurzen Moment lang hätte sie fast gelächelt.
Etwas sagte ihr, dass dies erst der Anfang war. Es schien, dass Tyler ihretwegen gekämpft hatte. Das war wie in ihren Liebesromanen, und es war tatsächlich direkt hier in Tulip geschehen.
Die ganze Stadt wusste, dass Tyler sich für Amelia Beauchamp geprügelt hatte. Er hatte den Klatsch über sie als persönliche Beleidigung betrachtet und die Situation bereinigt. Es verstand sich von selbst, dass nun umso mehr geklatscht wurde.
Effie Dettenberg machte sich ein bisschen Sorgen darüber, dass Tyler womöglich an ihrer Tür auftauchen und etwas ähnlich Drastisches tun könnte, aber ihrer Meinung nach war es Amelia recht geschehen nach dem, was sie getan hatte.
Amelia hatte in gewisser Weise jetzt den Ruf einer Femme fatale. Es war unglaublich, was Klatsch im Leben einer Frau anrichten konnte.
Tyler warf einen Blick in den Rückspiegel, bevor er ausstieg. Er war bereit, seiner Zukunft ins Auge zu sehen, denn als die betrachtete er inzwischen die drei Beauchamp-Frauen. Er hatte sich bereits eingestanden, dass er sein Leben nicht ohne Amelia verbringen wollte, und wenn dazu zwei Anstandswauwaus gehörten, war das auch in Ordnung. Er würde Amelia unter
jeder Bedingung nehmen. Entschlossen parkte er vor dem Haus, nahm den Blumenstrauß,
den er gerade gekauft hatte, ging zur Vordertür, klopfte und wartete.
Wilhemina machte auf. Einen langen Moment starrten sie sich an. Fällten ein Urteil.
Tyler war der Erste, der sprach.
„Miss Wilhemina, ich weiß, ich hätte anrufen sollen, aber ich ziehe es vor, mich Situationen persönlich zu stellen. Ich bin hergekommen, um Sie um Erlaubnis zu bitten, Ihrer Nichte den Hof zu machen. Und die hier sind für Sie.”
Aus einem Reflex heraus nahm Wilhemina den Strauß entgegen. Aber es war pures
Vergnügen, das sie dazu bewegte, die Nase in die gelben Gladiolen zu stecken. Wie hatte er wissen können, dass sie gerade die so sehr mochte?
„Na ja”, murmelte sie. „Dann sollten Sie besser hereinkommen.”
„Danke, Ma’am.”
Amelia war erst seit einer halben Stunde aus der Bibliothek zurück und zog sich gerade oben um. Ihr war nicht bewusst, was für eine bedeutungsvolle Begegnung unten stattfand.
In der Bibliothek war es besser gelaufen, als sie gehofft hatte, aber ihr war noch nicht klar, wo sie bei Tyler stand. Zugegeben, er hatte ihr geholfen, als sie ihn gebeten hatte, mit ihr ein Auto zu kaufen. Und er hatte sich tatsächlich für sie geprügelt, aber sie hatte keine Ahnung, welche Absichten er hatte.
Doch jetzt war sie zu müde, um sich deswegen Gedanken zu machen. Sie zog eine weiße
Hose und eine dazu passende langärmlige Bluse an. Als sie noch nach flachen Sandaletten kramte, hörte sie ihre Tante rufen.
„Amelia!”
„Ich komme.”
Das Letzte, was sie erwartet hatte, war, Tyler unten an der Treppe zu sehen. Er wartete auf sie wie eine Katze vor dem Mauseloch. Bei seinem zärtlichen Blick wurden ihr die Knie weich. Sie hatte ihr Mauseloch verlassen, so weit, so gut, aber es war eine ganz andere Sache, was er nun mit ihr zu tun gedachte. Als sie endlich unten angekommen war, war sie vollkommen durcheinander.
„Amelia.”
Seine Stimme war sanft.
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