Liebe auf den zweiten Blick
niedergeschlagen, dass Tyler für sie sowieso keine
Bedrohung darstellte. Leider. „Kommen Sie, Miss Effie. Ich habe gerade eins dieser
Handarbeitsbücher bekommen, die Sie so mögen. Es ist ein hübscher gehäkelter Schal auf dem Umschlag.”
Die Uhr schlug sechs, während Amelia mit ihrer Gabel spielte. Sie hatte weniger als drei Stunden Zeit, um ihre Tanten ins Bett zu schicken und mit Raelene Stringer zum Nachtclub zu fahren. Nun zuckte sie zusammen, weil ihre Gabel auf dem Teller ein lautes Kratzgeräusch verursachte. Ihre Tanten würden einen Schlaganfall bekommen, wenn sie wüssten, dass
Amelia nicht
nur im selben Etablissement arbeitete wie die „gefallene Frau” von Tulip, sondern auch noch mit ihr zusammen zur Arbeit fuhr.
Wilhemina verzog ihr Gesicht. „Kratz nicht auf deinem Teller herum! Ich habe dir doch wohl bessere Manieren beigebracht.”
„Ja, Ma’am”, murmelte Amelia und seufzte.
Rosemary schnitt eine Grimasse. „Willy, du ärgerst dich zu viel. Das ist nicht gut für die Verdauung. Ich habe gelesen, dass man von unangenehmen Mahlzeiten tatsächlich Magengeschwüre bekommen kann.”
Wilhemina schnappte nach Luft. „Meine Mahlzeiten sind nie unangenehm!”
„Ich habe nicht behauptet, das Essen wäre es. Ich meinte einfach, dass du manchmal …”
Amelia ging dazwischen. „Vergesst es, alle beide.”
Die Schwestern sahen sich böse an, während Amelia anfing, das Geschirr abzuräumen. „Ich wasche ab. Schaltet schon mal den Fernseher ein. Gleich kommt eure Lieblingssendung.”
Rosemary bekam vor Aufregung rote Wangen. „Oh, ich liebe das ‘Glücksrad’. Vielleicht kann ich eines Tages mal mitmachen.”
Wilhemina schnaubte. „Mach dich nicht lächerlich! Das ist ein Glücksspiel, und wir spielen nicht. Außerdem ist Kalifornien weit weg. Wir müssten fliegen, und wir fliegen nicht.”
„Willy, ich glaube, du wirst allmählich senil. Erst neulich habe ich gelesen …”
„Ich bin nicht senil”, unterbrach Wilhemina sie. „Und du liest zu viel.”
Amelia sah auf die Uhr, während sie das Geschirr zusammenstellte.
Zwei Stunden später rutschte sie nervös auf ihrem Stuhl herum und fragte sich, ob ihre Tanten wohl jemals schlafen gehen würden. Doch dann erschien zu ihrer Erleichterung Tante Witty in ihrem blauen Bademantel oben an der Treppe. „Amelia, kommst du nicht rauf? Es ist fast halb neun.”
Die Tanten glaubten fest daran, dass man früh ins Bett gehen und früh aufstehen sollte, und sie wichen nie von dieser Routine ab. Amelia biss sich auf die Unterlippe. Sie hasste es zu lügen, aber noch mehr hasste sie es, kein eigenes Auto zu haben.
„Noch nicht, Tante Witty. Ich will erst das Buch zu Ende lesen. Ich bin gerade in einem richtig guten Teil.”
Wilhemina brauchte gar nicht erst nachzusehen, um zu wissen, dass es sich um einen
Liebesroman handelte. Die las Amelia am liebsten. „Du musst aufhören, diesen Schund zu lesen. Der bringt dich nur durcheinander.”
Als Tante Wittys Tür zufiel, blickte Amelia wieder auf die Uhr. Dann legte sie das Lesezeichen in das Buch und lief zu dem Schrank im Erdgeschoss, aus dem sie eine kleine Reisetasche und ein Paar Joggingschuhe nahm. Alles, was sie für ihre Arbeit brauchte, war in der Tasche.
Sie schaltete das Licht aus und schloss leise die Haustür hinter sich.
Die Straßen waren fast leer. Amelia hoffte, dass sie niemanden traf, dem sie erklären müsste, weshalb sie so seltsam gekleidet war und sich so seltsam benahm, während sie zu dem zwei Blocks entfernten Treffpunkt lief.
Der dunkelgraue Jogginganzug war in der Dunkelheit wie eine Tarnkleidung. Es war
Donnerstag, und es war fast Zeit für Amber Champion, im „Old South” außerhalb von Savannah ihre Arbeit anzutreten. Raelene wartete bereits.
Sie kicherte, als Amelia einstieg. „Ich dachte schon, du kommst nicht.” Dann schaltete sie die Scheinwerfer ein und startete. Man konnte dem Motor anhören, dass eine Reparatur überfällig war.
Als Amelia den Job bekommen hatte, war ihre Aufregung darüber schnell
dahingeschwunden, weil ihr klar geworden war, dass sie ein Problem hatte; denn es fuhren nur wenige Busse zwischen Tulip und Savannah hin und her.
Raelene hatte einen Blick auf die große, langbeinige Frau
geworfen, die aus dem Büro des Chefs gekommen war, und hätte fast ihr Kaugummi
verschluckt. Die Bibliothekarin von Tulip war der letzte Mensch, den sie an diesem Ort erwartet hätte.
Der Nachtclub war sehr beliebt. Viele Männer
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