Liebe auf den zweiten Kuss
weitergaben -, aber es hatte auch seine Tiefpunkte: Trevor sprach kaum mit Jack, Budge benahm sich Nell gegenüber rüpelhaft, um sich an ihr wegen des Cafés zu rächen, Olivia war noch dämlicher als ohnehin schon und Jack schenkte Suze ein Diamantarmband, das exakt mit dem identisch war, das er ihr bereits zum letzten Weihnachtsfest geschenkt hatte. Zu guter Letzt brachte er seine Mutter nach Hause und kam erst viel später, nach Mitternacht, wieder zurück.
»Lass uns doch Silvester zusammen verbringen«, schlug Nell vor, als sie gemeinsam mit Suze im Gästezimmer saß und sie Marlene von ihren Engelsflügeln befreiten.
»Könnte sein, dass Jack bis Silvester sogar wieder nach Hause gefunden hat«, meinte Suze. »Aber egal, ja, komm doch hierher. Dich küsse ich ohnehin lieber als ihn.« Sie ließ Marlene laufen. »Ab mit dir, meine Kleine. Der Feiertag ist vorbei.«
Marlene rollte sich auf den Rücken und wälzte sich so lange, bis die Erinnerung an die Flügel verflogen war. Ihr langes, braunes Fell hatte sich von der unwürdigen Tarnung des Septembers erholt. Nell kraulte ihren Bauch, bis sich die Dackeldame lang ausstreckte und aufseufzte.
»Manchmal habe ich Schuldgefühle«, sagte sie.
»Weswegen?«
»Wegen Marlene.« Nell streichelte erneut den Bauch des Hundes und beobachtete Marlenes Gesicht. »Ich liebe sie so sehr, aber ich habe sie einem anderen Menschen gestohlen.«
»Der sie gar nicht mochte«, beschwichtigte sie Suze.
»Das wissen wir nicht«, widersprach Nell. »Ich liebe sie, aber sie spielt gerne die geschundene Kreatur. Vermutlich glauben die Leute, dass auch ich sie misshandle.«
»Denk an was anderes«, riet ihr Suze. »Wie haben Gabe die Bilder gefallen?«
»Sehr«, erwiderte Nell und lächelte bei der Erinnerung.
»Riley haben sie auch gefallen, aber Gabe hat sie lange an ihrem Platz an der Wand betrachtet und dann gesagt: ›Sie sind großartig, vielen Dank.‹«
»Mehr nicht?«, fragte Suze.
»Für Gabe ist das schon sehr viel«, erklärte Nell. »Ich konnte es spüren. Sie haben ihm viel bedeutet.«
»Ich hatte gehofft, er würde dich in seine Arme ziehen und ›Liebling!‹ ausrufen«, meinte Suze. »Was ist mit ihm nur los?«
»Offenbar regen die Fotos seiner Familie ihn dazu nicht an. Es ist überhaupt gar nichts mit ihm los.« Nell dachte an Gabe, wie er im Büro gestanden und die Bilder angestarrt hatte. »Er ist vollkommen in Ordnung.«
Suze schnaubte. »Was hat er dir geschenkt?« »Mir?« Nell schreckte aus ihren Träumereien auf. »Einen Schreibtischstuhl. Von ihm und Riley.«
»O mein Gott«, seufzte Suze. »Der Mann ist ein hoffnungsloser Fall.«
»Nein, der Stuhl ist perfekt. Er ist genau wie der, den ich in meinem alten Büro hatte.« Als Suze davon nicht sonderlich beeindruckt schien, fügte sie hinzu: »Er ist ergonomisch und verdammt teuer. Ich hatte gar nicht darum gebeten. Ich glaube, Riley hat Jase gefragt.«
»Nett von Riley«, bemerkte Suze.
»Riley hat Marlene einen riesigen Karton Hundekuchen geschenkt.« Nell streichelte den Bauch des Hundes. »Marlene und er unterhalten eine ausgesprochen enge Beziehung.«
»Ist ihm jemals ein weibliches Wesen über den Weg gelaufen, mit dem er keine ausgesprochen enge Beziehung unterhalten hat?«
Nell tätschelte Suzes Knie. »Lass uns nach unten gehen und etwas essen. Was hast du außer Schinken noch im Haus?«
»Wieder einmal Lasagne, glaube ich. Aber Essen ist keine Liebe.«
»Nein, aber es ist Essen.« Nell stand auf.
Marlene rollte auf die Füße zurück und sah sie an, offenbar befürchtete sie das Schlimmste.
»Leckerli«, rief Nell, woraufhin Marlene vom Bett sprang und auf die Treppe in Richtung Küche zutrottete.
»Genauso sollten wir das Leben auch nehmen«, wandte sich Nell an Suze und folgte dem Hund die Treppe hinunter. »So richtig scharf drauf sein.«
»Billiges Gerede«, konterte Suze. Nell zuckte die Achseln und konzentrierte sich darauf, über Gott und die Welt zu reden, aber jede Anspielung auf Jack und seine bedeutungsschwangere Abwesenheit zu unterlassen.
Am Nachmittag des Silvestertages, um fünf Uhr, kam Nell in Gabes Büro, um ihm die letzten Berichte zur Unterschrift vorzulegen, bevor sie zu Suze aufbrechen wollte. Sie beobachtete ihn, sein ernstes Gesicht im Lichtkegel der grünverglasten Lampe auf seinem Schreibtisch. Das Licht ließ die Flächen seines Gesichts wie ein Relief erscheinen und machte seine Augen noch dunkler, als sie es in Wirklichkeit ohnehin waren. Es
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