Liebe auf südlichen Straßen
und die Früchte eingeschrumpft aus. Lorenz wußte, daß Elisabeth mit genug barem Geld versorgt war, um ohne ihn weiterzukommen. Der alte Herr hatte ihr für die Reise eine anständige Summe zugesteckt, um sie bei ihren persönlichen Einkaufswünschen unabhängig zu machen. Er spürte kalten Schweiß in den Handflächen, wenn er daran dachte, daß sie vielleicht zu dieser Zeit schon im Zuge saß, und warf den Morgenmantel über und lief die Treppe hinab. Der Wagen stand, wie er ihn gestern abgestellt hatte, unter der Olive, nur, daß die Sonne prall auf das geschlossene Verdeck brannte. In der Küche des Hauses, von der sie den Eingang übersehen konnte, stand Signora Dellarossa am Bügelbrett.
»Ehi, Signore, suchen Sie etwas?« rief sie ihm zu.
Er konnte ihr doch nicht sagen, er befürchte, daß seine Frau ihm weggelaufen sei...
»Wissen Sie, Signora«, stotterte er, »ich bin ziemlich spät eingeschlafen — und habe wohl eine Tablette zuviel geschluckt. Haben Sie meine Frau gesehen? Sie ist wohl nach Gargnano gelaufen, und kauft ein paar Ansichtskarten, wie?«
»Nicht nach Gargnano... Die Signora fragte mich, wann der Bus nach Gardone ginge. Es war vor gut zwei Stunden, als sie herunterkam. Es war ein wenig schwierig, aber wir haben uns schließlich doch verständigen können...«
»Natürlich!« unterbrach er sie und tippte sich gegen die Stirn, »wie ich es nur vergessen konnte! Meine Frau wollte in Gardone eine deutsche Freundin besuchen, die dort ihren Urlaub verbringt.«
»Aber keineswegs, Signore! Ihre Frau ist nicht nach Gardone gefahren. Es war ja nicht möglich, denn der erste Bus war gerade weg, und auf den nächsten hätte sie zwei Stunden warten müssen. Sie ist jedenfalls in der Richtung nach Bogliaco davongegangen. Vielleicht, daß sie das Schloß und die Gartenanlagen besichtigen wollte. Ich habe es ihr empfohlen.«
»Das ist natürlich auch möglich...«, murmelte er.
Er drehte sich um und spürte, daß Signora Dellarossa ihm einigermaßen befremdet nachblickte. Zum mindesten schien sie eine Ehe, in der der Mann bis in den Vormittag hinein schlief und in der die Frau Ausflüge unternahm, ohne ihrem Gatten eine Nachricht zu hinterlassen, gewissermaßen wurmstichig zu finden. Lorenz ahnte hellsichtig ihre Gedanken und ging, eine flotte Melodie pfeifend, in das Zimmer zurück. Er pfiff beim Waschen und beim Rasieren, und er hätte auch beim Zähneputzen gepfiffen, wenn es technisch möglich gewesen wäre. Er pfiff für Signora Dellarossa. Aber in seinem Kopf wirbelten die düstersten Gedanken. Hatte Elisabeth in Gargnano oder in Bogliaco ein Auto gemietet, um in Rovereto oder Verona einen Zug zu erwischen, der sie heimbrachte? Hatte sie irgendwo weiter auf der Straße auf den nächsten Bus gewartet, der über Gardone und Sirmione nach Verona fuhr? Und hatte es noch irgendeinen Sinn, den Wagen zu nehmen und ihr nachzujagen? Sich bei Omnibusschaffnern und Billettverkäufern mit den Fragen nach einer blonden Signora mit blauen Augen und einszweiundsiebzig Körperlänge lächerlich zu machen? Oder war Elisabeth etwa zu Anna gegangen, um von Frau zu Frau mit ihr zu sprechen? Zwar verstand sie kein Wort Italienisch und Anna kein Wort Deutsch, aber vielleicht gab es zwischen zwei Frauen auch eine Verständigungsmöglichkeit ohne Worte. Frauen entwickeln seltsame Fähigkeiten, von denen man als Mann zwar nichts versteht, denen man aber immer wieder staunend begegnet...
Plötzlich erschien ihm der Gedanke, daß Elisabeth zum zweitenmal den steilen Weg zu dem kleinen grauen Hause auf dem Berg gegangen sei, so zwingend, daß er wenige Minuten später das Haus verließ, um den Pfad, den sie gestern genommen hatten, ebenfalls wieder einzuschlagen. Aber er machte einen kleinen Umweg über den Bagno publico, um Annas Sohn — seinen Sohn Lorenzo — zu sehen und zu fragen, ob Elisabeth ihm begegnet sei. Aber der Platz an der Mauer war leer, Lorenzo hatte seinen Posten noch nicht bezogen. Selbstverständlich nicht, denn schließlich besuchte er ja noch die Elementarschule und konnte sein kleines Geschäft außerhalb der Ferien nur am Nachmittag betreiben.
Lorenz überschritt wieder die Steinbrücke über dem Straßengraben, in dem ein dünnes Rinnsal stinkend dahinrieselte, und starrte auf den Weg, als könne er wie ein Fährtensucher auf dem harten Boden eine Spur von Elisabeth entdecken. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und heizte den Weg zwischen den hohen Steinmauern so erbarmungslos ein, daß
Weitere Kostenlose Bücher