Liebe auf südlichen Straßen
reden.«
»Die Leute sagen, er sei ein guter Bürgermeister, unser Signor Zanella. Ich verstehe es nicht. Wie kann ein Mann gut und ehrlich sein, der in diesen Zeiten kein Gramm Fett verloren hat und dem noch die gleichen Hosen passen, die er vor dem Krieg getragen hat?«
»Vielleicht ist es angeborene Fettsucht...«
»Hören Sie mir bloß damit auf! Ich glaube nicht an angeborenes, sondern nur an angefressenes Fett. Sonst gäbe es diese Fettsucht auch bei armen Leuten und nicht nur vom Bürgermeister an aufwärts!« Er zog die Angel energisch auf, und dieses Mal hing wirklich ein fingerlanger Weißfisch daran. Als das Amt um neun Uhr geöffnet wurde, wußte ich über die Verhältnisse in Gargnano wieder einiges mehr, und der Alte hatte sechs Schwänzchen gefangen.
Ein mürrischer Schreiber mit schwarzen Ärmelschonern und einer Stahlbrille auf der Nase blickte bei meinem Eintritt in das Amtslokal der Bürgermeisterei flüchtig auf und wurde erst munter, als ich ihm erklärte, ich sei ein deutscher Soldat und gekommen, um mich zu stellen.
»Drei Monate nach Kriegsende? Wo haben Sie sich so lange aufgehalten?« fragte er und sah mich über den Brillenrand hinweg streng an.
»Unterwegs. Ich habe bei den Bauern gearbeitet und mich nach Deutschland durchzuschlagen versucht, bis ich vor ein paar Tagen von einer Streife festgehalten und bei der Flucht verwundet wurde.«
»Haben Sie eine Waffe bei sich?« fragte er ängstlich.
Ich konnte ihn beruhigen, daß ich waffenlos sei. Er überlegte, ob er die Tür hinter mir zusperren sollte, während er zum Podesta ging, um den ungewöhnlichen Besuch zu melden. Und wieder beruhigte ich ihn, daß es nicht in meiner Absicht läge, auszureißen, da ich mich ja freiwillig gestellt hätte. Das schien ihm einzuleuchten. Er verschwand im nächsten Zimmer und kehrte bald darauf hinter dem Podestà zurück, bei dessen Anblick man tatsächlich das Gefühl hatte, der ungeheure Umfang des Bauches presse die Luft im Raum dichter zusammen. Er schien gerade beim Frühstück gestört worden zu sein, denn er kaute noch mit vollen Backen, und der schwarz gefärbte Schnurrbart war feucht vom Milchkaffee.
»Was machen Sie mir am frühen Morgen für Umstände!« fuhr er mich bitterböse an.
Ich sagte ihm, daß ich es gern vermieden hätte, ihm diese Umstände zu bereiten, aber mein Bein mache es mir leider unmöglich, weiterzugehen und mich erst in Tremosine oder in Riva zu melden. Er fragte mich ungnädig nach meinen Papieren. Ich antwortete ihm, daß ich sie leider verloren hätte und nannte ihm meinen Namen und was ich sonst für wichtig hielt.
»Die Geschichte wird immer merkwürdiger«, knurrte er, »mit diesem Namen und mit Ihrem Italienisch behaupten Sie, ein deutscher Soldat zu sein?«
»Ich würde es doch wohl nicht behaupten, wenn ich es nicht wäre...«
»Sagen Sie das nicht! Mancher Faschist wäre froh, wenn er jetzt für eine Weile in einem Gefangenenlager untertauchen könnte.«
»Daran habe ich allerdings nicht gedacht...«, murmelte ich und sah sehr unangenehme Verwicklungen am Horizont auftauchen.
»Wie kommen Sie zu Ihrem Italienisch? Erklären Sie mir das!«
Und ich erklärte, vor dem Kriege Angestellter eines Reisebüros gewesen zu sein und eben aufgrund meiner Sprachkenntnisse zahllose Züge und Omnibusse nach Italien begleitet zu haben. Oft auch an den Gardasee. Aber leider immer nur nach Riva, Torbole, Limone, Gardone, Malcesine und Sirmione, gerade so, als ob Gargnano überhaupt nicht vorhanden sei. Und dabei habe mich doch schon der kurze Aufenthalt tief beeindruckt und zu der Frage veranlaßt, weshalb dieses herrlich gelegene Gargnano nie auf dem Programm meiner Reisen gestanden habe...
Die gereizte Atmosphäre entspannte sich wie durch ein Zauberwort. »Hören Sie es, Signor Fumagalli?« rief der Podestà und schlug dem Schreiber mit dem Handrücken so kräftig gegen die flache Brust, daß es den kleinen Mann fast umgeworfen hätte, »Sie wollten es auch nicht glauben, und wenn ich es Ihnen tausendmal gepredigt habe, daß Gargnano eine Zukunft hat! Jetzt hören Sie es selber aus dem Mund eines Mannes, der schließlich etwas davon verstehen muß!«
Ich wagte bescheiden einzuwerfen, daß natürlich die Hotels und Gasthöfe ein wenig modernisiert werden müßten, besonders in den hygienischen Einrichtungen... nun, er verstehe wohl, was ich damit sagen wolle...
»Das predige ich diesen Wirten jeden Tag!« schrie er, »und ich bringe sie hin, wo ich sie haben
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