Liebe braucht keinen Ort
nichts gespürt hätte. Aber sie konnte nur in eine gewisse Tiefe vordringen und wurde dann kräftig und entschieden zurückgeschleudert. Als daszum dritten Mal geschah, gingen ihr die Worte
Zu deinem eigenen Besten
durch den Kopf.
Und doch konnte Liza unmöglich glauben, dass er vorhatte, ihr in irgendeiner Weise Schaden zuzufügen. Sie fühlte sich hier mit ihm sicher und beschützt, als wären seine langen Beine eine Zugbrücke, die einen kleinen Raum nur für sie beide abgrenzte. Seine Beine waren den ihren so nah, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte. Es war, als säße man neben einem kleinen tröstenden Feuer.
Als sie ihren Krakatau-Mokka halb ausgetrunken hatte, fragte sie ihn, wie er in der Notaufnahme gelandet war.
»Du musst mir versprechen, dass du nicht lachst«, antwortete er. »Ich wurde k. o. geschlagen. Von Nancy Drew. Zwischen den Regalen in der Bibliothek. Ein ganzes Regalbrett mit diesen Mädchen-Krimis ist auf mich heruntergefallen. Originale, nicht die digitalen Fassungen.«
Liza konnte nicht anders. Sie musste lachen.
Er lächelte auch und strich sich eine widerspenstige dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht. »Weißt du, wie viele Nancy-Drew-Bücher es gibt? Über tausend! Ich war praktisch lebendig begraben.«
»Und diese Bücher studierst du? Das ist die Literatur, für die du die halbe Galaxie durchquert hast? Ich habe Nancy-Drew-Geschichten gelesen, als ich zehn war.«
»Genau wie die meisten Erdmädchen in den letzten dreihundert Jahren. Das habt ihr alle gemeinsam.« Er lehnte sich vor und sprach mit leiserer Stimme weiter. »Wir glauben, dass Nancy Drew der Schlüssel zur weiblichen Dynamik im ganzen Universum ist.«
Diesmal lachten sie beide.
Liza griff nach dem Schalter an ihrer Bettdecke und stellte siewieder so ein, dass sie sich ihr federleicht und schwebend um Schultern und den Körper schmiegte. Das wollte sie, dieses Gefühl der Leichtigkeit und Wärme, das Gefühl, wieder mit David in der Nische im Café zu sitzen. Sie wollte, dass dieses Gefühl noch länger andauerte. Denn am Schluss hatte sie beinahe einen körperlichen Schock verspürt, als er aufgestanden war und die Verbindung zwischen ihnen unterbrochen wurde. Er hatte nichts davon erwähnt, dass er sie wiedersehen wollte. Er hatte sie nicht einmal nach Hause begleitet. Er hatte sich nur vor dem Café von ihr verabschiedet und war dann im Trubel Londons verschwunden.
Liza schlief beinahe den ganzen Tag und trug am nächsten Morgen ihren Namen auf der Bereitschaftsliste für Notfälle ein. Bei der Arbeit wurde sie erst am Dienstag zurückerwartet, aber sie wollte sich auch nicht noch mehr Zeit geben, in der sie an David denken konnte. Niemand meldete sich krank, und sie hatte schon beinahe beschlossen, joggen zu gehen, als plötzlich das Telefon schrillte und alle ihre Bildschirme zu blinken begannen. Der Bildschirm an der Wand erwachte zu schimmerndem Leben und begann Informationen zu zeigen. Es hatte einen weiteren Terroranschlag der Anarchisten gegeben, eine Schockbombe auf dem Trafalgar Square, und die NKDs wurden unmittelbar ins Royal London Hospital gebracht.
Ein rascher Adrenalinstoß durchflutete ihre Adern. Liza hatte noch ihre Kopfhörer auf und ihre Laufschuhe an den Füßen, aber sie flitzte bereits zur Tür hinaus, ehe das Sendesystem des Krankenhauses ihr alle Einzelheiten übermittelt hatte.
Die Bomben waren vor fünfzehn Minuten explodiert, eine in der Nähe des Nelson-Denkmals und die andere auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes bei der Nationalgalerie. NeunzehnTote auf dem Platz. Vierundzwanzig definitiv Verletzte. NKDs: viertausendsechshundertvierundfünfzig.
Das war das Besondere an den kleineren Schockbomben. Es gab keinen Knall, keine Flammen, keinen Rauch. Stattdessen schickte ein nicht auffindbares Gerät von der Größe eines Tautropfens, das ferngezündet wurde, völlig lautlos Schockwellen über eine sehr große Fläche. Die Wellen waren nicht stark genug, um Glas zu sprengen oder Gebäude zu zerstören. Normalerweise verletzten sie nicht einmal die Haut, sondern durchdrangen sie und prellten, quetschten und verletzten die weicheren inneren Organe.
Niemand wusste, wer getroffen worden war und wer nicht, nicht einmal die Opfer. Nur sehr wenige starben sofort, normalerweise Kinder und ältere Leute. Manche, oft diejenigen, die sich am nächsten zur Bombe aufgehalten hatten, waren eindeutig schwer verletzt. Die meisten Leute behaupteten, es ginge ihnen gut, und
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