Liebe braucht keinen Ort
anwies, diesen Sari zu tragen. Ist das nicht komisch? Aber niemand hat je ignoriert, was Nalini sagt, und da bin ich nun.« Rani lachte. »Wer weiß? Vielleicht ist es mir bestimmt, einen schönen Hindu-Prinzen kennenzulernen!«
Rani hatte recht gehabt. Cornwall war wunderschön. Nachdem sie aus dem Vactrain ausgestiegen waren, fuhren sie mit einem Airbus zu den großen Bergen, die am Ufer des Ozeans steil zum Meer hin abfielen. Die Luft war klar und strahlend hell vom Sonnenschein, der wie Diamanten auf den Wellen glitzerte. Auf der Bergkuppe waren unzählige Stände aufgebaut, an denen Menschen in Bauerngewändern arbeiteten, während prächtig gekleidete Mitglieder der bald zu Fall kommenden Aristokratie über die weiten Rasenflächen spazierten. Seltsamerweise wirkte Rani in ihrem safrangelben Sari neben den rosafarbenen, hellblauen und gelben Seidenstoffen des alten Adels überhaupt nicht fehl am Platz.
Die jungen Frauen schlenderten von einem Stand zum anderen, genossen die Vorführungen der Jongleure und versuchten sich zu entscheiden, was sie essen sollten. Rani entdeckte eine Bude, in der Pralinen gefertigt wurden, wie man es vor der Revolution gemacht hatte: Kleine Förmchen in unterschiedlichen Formen und Größen wurden in ein Tablett mit Puderzuckergedrückt und dann wurden die so entstandenen Mulden mit geschmolzener Schokolade ausgegossen.
Während sie zusammen über den Jahrmarkt schlenderten, musterte Rani immer wieder die Menschenmenge.
»Du suchst wohl den indischen Prinzen?«, neckte Liza.
»So ähnlich«, antwortete Rani.
Schließlich entschieden sie sich für Crêpes mit Erdbeeren und fanden einen Platz an einem der Tische, der mit rot-weiß-blauen Kokarden und französischen Fähnchen geschmückt war. Jetzt, da die warme Julisonne auf sie herunterschien und sie die Süße der Erdbeeren im Mund schmeckte, erschien Liza die Welt beinahe wieder voller Hoffnung zu sein.
»Danke, dass du mich überredet hast«, sagte Liza. »Ich denke, du hast recht. Das Leben geht weiter.«
Rani lächelte sie an, schien aber nicht zuzuhören. »Ach du liebe Güte, da ist Lucy Willis«, rief sie und starrte über die Menschenmenge hinweg. »Wir waren in der Grundschule beste Freundinnen. Ich kann es nicht glauben. Hast du was dagegen, wenn ich schnell Hallo sage? Ich bin gleich wieder da.«
Liza gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie ruhig gehen könne, und wandte sich wieder ihrer Crêpe zu. Seit Wochen hatte sie nicht mehr so viel Appetit gehabt, und sie überlegte bereits, ob sie auch noch Ranis Crêpe aufessen sollte, wenn sie nicht bald wiederkam.
»Entschuldigung, ist hier noch frei?« Liza erstarrte. Sie schaute hoch.
Er.
Ihr David mit den grauen Augen und den schwarzen Augenbrauen. Nichts in ihrem Leben hatte sich je so wunderbar angefühlt wie der Augenblick, in dem sie einander wieder in die Arme schlossen. Liza drückte ihr Gesicht an seine Brust und atmetetief ein, sog seinen Duft, seine Wärme und seine Liebe ein. In diesem einzigen Atemzug dehnte sich ihre Welt unendlich aus.
»Ich habe gedacht, ich würde dich niemals wiedersehen. Ich habe gedacht … « Sie unterbrach sich, denn sie schmeckte salzige Tränen auf der Zunge.
»Sch, ist ja schon gut, Liza.« Als er sie küsste, schmeckte sie nach klarer frischer Luft und Erdbeeren. Zwar würde irgendwann immer noch der Tag kommen, an dem er sie aufgeben musste, doch nachdem sie Prambanan verlassen hatte, war ihm klar geworden, was Liza schon immer gewusst hatte: dass jeder Tag, den sie zusammen verbringen konnten, einer der besten Tage ihres Lebens sein würde.
Sie zog den Kopf zurück, und einen unendlichen Augenblick lang standen sie einfach nur da und schauten einander in die Augen. »Also dann nutzen wir die Zeit, die uns gegeben ist«, sagte sie schließlich, und er begriff, dass ihr Mut viel größer als sein eigener war.
Kurz darauf kam Rani zurück. »Siehst du.« Sie strahlte. »Ich habe dir doch gesagt, dass du vielleicht jemanden treffen wirst. Ich habe nur nicht gesagt, wen.«
»Du hast das gewusst?«
»Natürlich. Und jetzt, da ich meine Pflicht für die wahre Liebe getan habe, gehe ich zu diesem süßen Typen namens Etienne da drüben, der mir eine absolut spannende Fahrt in seiner Montgolfiere versprochen hat. Ich seh euch beide später.«
Da war es wieder, das seltsame französische Wort, das auch auf der Einladung gestanden hatte: Montgolfiere. Es war wohl eine Art Luftroller oder ein uraltes Auto,
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