Liebe bringt die höchsten Zinsen
schlimm die Situation für jede unverheiratete Schwangere damals war. Viele Frauen kamen zu mir, um ihr Kind abtreiben zu lassen, wenn sie nicht mehr weiterwussten. Und wenn sie Angst vor dem Klatsch der Nachbarn hatten. Das war eine schwere Zeit für diese werdenden Mütter; viele trieb es in die Arme einer Engelmacherin, der das Schicksal der armen Frauen gleichgültig war – wenn nur das Geld stimmte.
Als Ihr Vater mich aufsuchte und mich bat, ein Kind auf die Welt zu holen, hatte ich sofort ein gutes Gefühl. Nicht, weil er mir sehr viel Geld geboten hatte, sondern weil er – um wirklich jeden Preis – wollte, dass sein Nachwuchs gesund zur Welt kommt. Er hat Ihre Mutter sehr geliebt, war aber auch gefangen in seinem Pflichtbewusstsein gegenüber der Bank, seinem Vater und vor allem seiner Frau.
Und als Ihrer beider Mutter dann später anklopfte, wusste ich: Das ist ein guter Mensch. Sie hatte einfach Angst vor der Zukunft. Aber sie hätte nie eine Abtreibung verlangt."
Die Frau stockte: „Die Mutter und auch der Vater hatten lediglich mit einem einzigen Kind gerechnet und dafür die Weichen in die Zukunft gestellt. Erst kurz vor der Geburt konnte ich die schwangere Frau Schumann gründlich untersuchen. Dabei stellte sich heraus, was ich bei ihrem Eintreffen schon vermutet hatte: dass sie Zwillinge erwartete."
Frau Baumgärtner blickte aus dem Fenster, wie in weite Ferne, als könnte sie die Begegnung von damals noch einmal in ihr Blickfeld rücken.
„Die Mutter war völlig verzweifelt; denn sie wusste nicht, was sie machen sollte und ob sie dem Erzeuger überhaupt die besondere Schwangerschaft mitteilen sollte. Denn die beiden hatten einen Plan überlegt, der dem einen erwarteten Kind eine sichere Zukunft garantieren sollte und zwar als Adoptivkind im Hause des Erzeugers. Das ging aber nur, wenn es einen Weg gab, den auch die Ehefrau mit beschreiten könnte. Der Adoption eines unehelichen Kindes des Ehemannes hätte die Ehefrau jedoch nie zugestimmt."
Frau Baumgärtner zögerte. Stefanie und Kathi lauschten mit wachsender Erregung, als die ehemalige Hebamme ihre Erzählung fortsetzte:
„So beschlossen die beiden, ihr gemeinsames Kind in der kleinen Stadt, in der der Erzeuger wohnte, auszusetzen. Denn gegen die Adoption eines ‚fremden' Findelkindes hätte die Ehefrau nichts einzuwenden gehabt."
Wie erstarrt hörte Stefanie zu: Mein Vater hat also nicht nur gewusst, wer mich ausgesetzt hat, sondern er hat sogar den Plan gemeinsam mit seiner Geliebten ausgeheckt!
Die Österreicherin fuhr leise fort: „ Die Kindesmutter sollte das Neugeborene auf den Treppenstufen der Kirche ablegen, der Vater wollte sofort danach die Adoption dieses Kindes betreiben – ohne dass jemand ahnte, dass er auch der leibliche Vater war."
Zögernd fragte Kathi: „Und was war mit dem zweiten Baby?"
„Am 14. August kamen die Zwillinge zur Welt. Da die Kindesmutter davon ausging, dass die Ehefrau des leiblichen Vaters keine Zwillinge aufnehmen würde, fasste sie einen einsamen Entschluss."
Die Greisin unterbrach kurz ihren Bericht. „Sie wollte so tun, als sei nur ein Kind geboren worden."
„Eines sollte quasi unterschlagen werden?", fragte Stefanie nach. „Ist das Ihr Ernst?"
„Ja, so kann man es nennen. Die Kindesmutter flehte mich an, nur ein Kind offiziell anzumelden und im Geburtenregister einzutragen. Da niemand mit einem weiteren Kind gerechnet hatte, würde auch niemand das zweite Kind vermissen. Niemand außer ihr und mir wusste ja davon. Nicht einmal der Vater."
Wieder musste die ehemalige Hebamme eine Pause einlegen, so strengte sie die belastende Reise in die Vergangenheit an.
„Eines der Babys, das ‚offizielle', wollte Frau Schumann selbst behalten. Und das andere, das der Vater für das einzige hielt, das wollte sie aussetzen, damit es zum leiblichen Vater fände."
Die 78-Jährige unterbrach ihre Schilderung, nahm einen Schluck Wasser.
„Und was geschah dann? Wurde dieser Plan ausgeführt?", wollte Stefanie wissen, „darauf stand bestimmt Gefängnis."
Die alte Frau stellte ihr Glas ab: „Ich wusste damals, dass ich mich strafbar machen würde, wenn ich auf die junge Frau hörte. Und mir war in jedem Augenblick klar, dass ich damit ohnehin schon gegen alle Standesregeln verstoßen würde. Deswegen will ich mich nicht entschuldigen für das, was ich getan habe. Aber es geschah
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