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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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trüben Helligkeit. In diesem gelbroten Brodem lag die Frau auf dem Bett. Sie schien nichts zu sein als ein unförmiger Bauch mit verschobenen, blutigen Kleidern, unter denen die Beine mit herabgerutschten, schwarzen Strümpfen herausragten, sonderbar in sich verdreht und erschlaf.
      »Geben Sie das Handtuch! Sie muß aufören zu bluten! Vielleicht finden Sie irgend etwas!«
      Kern sah, wie Ruth die Ärmel hochschob und die Kleider der Frau zu lösen versuchte. Er gab ihr das Handtuch vom Waschtisch. »Der Arzt muß gleich kommen! Marill ist unterwegs.«
      Er suchte nach Verbandszeug und stülpte den Koffer hastig um.
      »Geben Sie her, was Sie finden«, rief Ruth.
      Auf dem Boden lag ein Haufen Säuglingswäsche – kleine Hemden, Windeln, Tücher und dazwischen ein paar Jäckchen, gestrickt aus rosa und hellblauer Wolle, mit Schleifen und Seide geschmückt. Eins war noch nicht fertig; ein paar Stricknadeln steckten noch drin. Ein Knäuel weiches, blaues Wollgarn fiel heraus und rollte lautlos über den Boden.
      »Geben Sie her!« Ruth warf das blutige Handtuch weg. Kern gab ihr die Windeln und die Tücher. Dann hörte er Schritte auf der Treppe. Gleich darauf ging die Tür auf, und Marill kam mit einem Arzt herein.
      »Ja, was ist denn da … verdammt!«
      Der Arzt machte einen langen Schritt, schob Ruth Holland beiseite und beugte sich über die Frau. Nach einiger Zeit wandte er sich um zu Marill. »Rufen Sie sofort Nummer 267 an. Braun soll eiligst kommen und alles mitbringen für Narkose, Braxton-Hicks-Operation. Verstanden? Außerdem alles für schwere Blutungen.«
      »Gut.«
      Der Arzt sah sich um. »Sie können gehen!« sagte er zu Kern. »Das Fräulein bleibt hier. Holen Sie Wasser. Geben Sie mir meine Tasche.«
      Der zweite Arzt kam zehn Minuten spater. Mit Hilfe Kerns und einiger anderer Leute, die inzwischen gekommen waren, wurde der Raum neben dem Zimmer, wo die Frau lag, in ein Operationszimmer verwandelt. Die Betten wurden beiseite geschoben, Tische herangerückt und die Instrumente vorbereitet. Der Wirt holte die stärksten Birnen, die er hatte, und schraubte sie in die Lampen ein.
      »Los, Los!«
      Der erste Arzt tobte vor Ungeduld. Er riß seinen weißen Mantel über und ließ sich ihn von Ruth Holland zuknöpfen. »Nehmen Sie sich auch so was!« Er warf ihr einen Mantel zu. »Wir brauchen Sie vielleicht hier. Können Sie Blut sehen? Wird Ihnen schlecht?«
      »Nein«, sagte Ruth.
    »Gut! Brav!«
      »Vielleicht kann ich auch was tun«, sagte Kern. »Ich habe zwei Semester Medizin.«
      »Vorläufig nicht.« Der Arzt sah nach den Instrumenten. »Können wir anfangen?«
      Das Licht spiegelte sich in seiner Glatze. Die Tür wurde ausgehängt. Vier Männer trugen das Bett mit der leise wimmernden Frau über den Korridor herein. Die Frau hatte die Augen weit offen. Ihre farblosen Lippen bebten.
      »Los! Anfassen!« schnauzte der Arzt. »Hochheben! Vorsichtig, verflucht noch mal!«
      Die Frau war schwer. Kern standen die Schweißtropfen auf der Stirn. Sein Blick begegnete dem Ruths. Sie war blaß, aber ruhig und so verändert, daß er sie kaum wiedererkannte. Sie gehörte zu der blutenden Frau.
      »So! ’raus alles, was nichts hier zu tun hat!« schnauzte der Arzt mit der Glatze. Er nahm die Hand der Frau. »Es tut nicht
      weh. Es ist ganz leicht.« Er hatte plötzlich die Stimme einer Mutter.
      »Das Kind soll leben«, flüsterte die Frau.
      »Beide, beide …«, erwiderte der Arzt sanf.
      »Das Kind …«
      »Wir drehen es nur ein bißchen um, aus der Schulterlage heraus. Dann kommt es wie der Blitz. Nur ruhig, ganz ruhig. Narkose!«

    KERN STAND MIT Marill und ein paar anderen Leuten in dem verlassenen Zimmer der Frau. Sie warteten darauf, daß sie wieder gebraucht würden. Von nebenan klang gedämpf das Murmeln der Ärzte. Auf dem Boden verstreut lagen die rosa und blauen gestrickten Jäckchen.
      »Eine Geburt«, sagte Marill zu Kern. »So ist das, wenn man auf die Welt kommt … Blut, Blut und Schreie! Verstehen Sie, Kern?«
      »Ja.«
      »Nein«, sagte Marill. »Sie nicht und ich nicht! Eine Frau, nur eine Frau! Fühlen Sie sich nicht wie ein Schwein?«
      »Nein«, erwiderte Kern.
      »So? Aber ich!« Marill wischte sich die Brille ab und betrachtete Kern. »Haben Sie schon mit einer Frau geschlafen? Nein! Sonst würden Sie sich auch wie ein Schwein fühlen. Gibt’s hier irgendwo eine Möglichkeit für einen

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