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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Gebärmutterhals«, sagte er. »Nichts zu machen. Die Frau verblutet.«
      »Nichts zu machen?«
      »Nichts. Haben alles versucht. Hört nicht auf zu bluten.«
      »Können Sie keine Blutübertragung machen?« fragte Ruth, die in der Tür stand. »Sie können es von mir nehmen.«
      Der Arzt schüttelte den Kopf. »Hilf nichts, Kindchen. Wenn’s nicht aufört …«
      Er ging zurück. Die Tür blieb offen. Das helle Viereck wirkte gespenstisch. Die drei saßen und schwiegen. Der Kellner tappte herein. – »Soll ich abräumen?«
      »Nein.«
      »Wollen Sie etwas trinken?« fragte Marill Ruth.
      Sie schüttelte den Kopf.
      »Doch, nehmen Sie was. Es ist besser.« Er goß ihr ein halbes Glas ein.
      Es war dunkel geworden. Am Horizont über den Dächern schimmerte nur noch schwachgrün und orangefarben das letzte Licht. Darin schwamm der bleiche Mond, zerfressen von Löchern wie eine alte Messingmünze. Von der Straße her hörte man Stimmen. Sie waren laut, vergnügt und nichtsahnend. Kern erinnerte sich plötzlich an Steiner und das, was er gesagt hatte. Wenn neben dir jemand stirbt: du spürst es nicht. Das ist das Unglück der Welt. Mitleid ist kein Schmerz. Mitleid ist eine versteckte Schadenfreude. Ein Aufatmen, daß man es nicht selber ist oder einer, den man liebt. Er blickte zu Ruth hinüber. Er konnte ihr Gesicht nicht mehr sehen.
      Marill horchte auf. »Was ist denn das?«
      Ein langer, voller Geigenton schwang durch die anbrechende Nacht. Er verhallte, schwoll wieder an, stieg empor, sieghaf, trotzig – und dann begannen Läufe zu perlen, zarter und zarter, und eine Melodie löste sich los, einfach und traurig wie der versinkende Abend.
      »Es ist hier im Hotel«, sagte Marill und spähte durchs Fenster. »Über uns in der vierten Etage.«
      »Ich glaube, ich kenne ihn«, erwiderte Kern. »Es ist ein Geiger, den ich schon einmal gehört habe. Ich wußte nicht, daß er auch hier wohnt.«
      »Das ist kein einfacher Geiger. Das ist viel mehr.«
      »Soll ich hinaufgehen und ihm sagen, er möchte aufören?«
      »Warum?«

  Kern machte eine Bewegung zur Tür. Marills Brille glänzte. »Nein. Wozu? Traurig sein kann man immer. Und Sterben ist überall. Das geht alles zusammen.«
      Sie saßen und lauschten. Nach langer Zeit kam Braun aus dem Nebenzimmer. »Aus«, sagte er. ^Exitus. Sie hat nicht viel gespürt. Weiß nur, daß ein Kind da ist. Das haben wir ihr noch sagen können.«
      Die drei standen auf. »Wir können sie wieder hierher bringen«, sagte Braun. »Das Zimmer nebenan wird ja gebraucht.«
      Die Frau lag weiß und plötzlich schmal in der Verwüstung von blutigen Tüchern, Tupfern und Eimern und Schalen von Blut und Watte. Sie lag da mit einem fremden, strengen Gesicht, und es ging sie alles nichts mehr an. Der Arzt mit der Glatze, der sich um sie herumbewegte, wirkte wie unanständig gegen sie: fressendes, säfevolles, zermalmendes, ausscheidendes Leben neben der Ruhe der Vollendung.
      »Lassen Sie sie zugedeckt«, sagte der Arzt. »Besser Sie sehen das andere nicht. War sowieso schon ein bißchen viel, nicht wahr, kleines Fräulein?«
      Ruth schüttelte den Kopf.
      »Sie haben sich tapfer gehalten. Nicht gemuckt. Wissen Sie, was ich jetzt könnte, Braun? Mich aufängen, mich glatt am nächsten Fenster aufängen!«
      »Sie haben das Kind lebendig geholt; das war eine Glanzleistung.«
      »Aufängen! Verstehen Sie, ich weiß, daß wir alles getan haben, daß man machtlos dagegen ist. Trotzdem könnte ich mich aufängen!«
      Er würgte wütend, sein Gesicht über dem Kragen des blutigen Kittels war rot und fleischig. »Zwanzig Jahre mache ich das nun schon. Und jedesmal, wenn mir einer durch die Lappen geht, möchte ich mich aufängen. Zu blödsinnig.« Er wandte sich an Kern. »Nehmen Sie mir da aus der linken Rocktasche die Zigaretten und stecken Sie mir eine in den Mund. Ja, kleines Fräulein, ich weiß, was Sie denken. So, und nun Feuer. Ich geh’ mich waschen.« Er starrte auf die Gummihandschuhe, als wären sie an allem schuld, und ging schwerfällig ins Badezimmer.
      Sie trugen die Tote mit dem Bett auf den Korridor hinaus und von da in ihr Zimmer zurück. Auf dem Korridor standen ein paar Leute, die in dem großen Zimmer wohnten. »Konnte man sie denn nicht in eine Klinik bringen?« fragte eine dürre Frau, die einen Hals wie ein Truthahn hatte.
      »Nein«, sagte Marill. »Sonst hätte man’s getan.«
      »Und

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