Liebe Dich Selbst Und Es Ist Egal, Wen Du Heiratest
Elternteil, ständiger Streit bis hin zur Scheidung, unausgeglichene Kräfteverhältnisse zwischen den Eltern, starre Regeln, Krieg, ethnische Verfolgung oder enge religiöse und
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moralische Grenzen. Aus einem solchen Klima heraus werden für das kindliche Gedeihen völlig normale Dinge als >böse« oder
»schlecht« eingestuft: Nackt sein ist dann eine Sünde, körperliche Ausgelassenheit unmoralisch, Nachbarlinder anderer Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit werden zu Todfeinden, und laut sein macht den Papa krank. Was allerdings genauso stark repressiv auf das Kind wirkt wie ein tatsächlicher Druck, ist der Zwang, sich in seiner Liebe entscheiden zu müssen: für Papa oder für Mama, für den Schwächeren oder den Stärkeren. Kinder wollen um jeden Preis alle gleich lieben. Wenn sie aber durch Streit, Trennung oder Schwäche bei einem Elternteil gezwungen werden, sich :u entscheiden, dann müssen sie abspalten: Der Teil von ihnen, der doch noch den anderen Elternteil liebt, obwohl dieser die Familie verlassen hat oder will, den Papa anschreit oder die Mama haut, der ist »böse«, der darf nicht mehr sein. Sehr stark zur Schattenbildung tragen auch übermäßig viele Verbote und starre Regeln in einer Familie bei. Das Kind versucht, sich in den vorgegebenen Grenzen zu bewegen, gut und hilfsbereit zu sein, sich korrekt zu benehmen, aber es ernennt nicht den Raum, von innen heraus zu seiner eigentlichen echten Güte und Hilfsbereitschaft zu finden. All die unter dieser künstlichen
Anstrengung
emporsteigenden natürlichen Kräfte und Wünsche verdrängt es in den »bösen« verbotenen Schattenbereich. Als Gier, Hass, Rachsucht, Schwelgerei oder Triebhaftigkeit tauchen die alten, einst natürlichen Gelüste dann verzerrt und entstellt im späteren Leben wieder auf. Manchmal führen sie uns in ein regelrechtes Doppelleben.
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Während ich dieses Buch schreibe, ist Michel Friedmann gerade in die Schlagzeilen geraten: Friedmann war bis zu diesem Zeitpunkt eine öffentliche Instanz, die besonders hohe moralische und politische Ansprüche in sich vereinte. Er war Vizepräsident im Zentralrat der Juden in Deutschland, Rechtsanwalt, CDU-Mitglied und Medienstar. Der kritische Talkmaster gebärdete sich als jüdisches Gewissen der deutschen Nation. Er behauptete stolz von sich, sein persönlicher Anspruch als TV-Moderator sei es, in der Sache stets »scharf und schonungslos« zu sein. Alle Ämter, alle Titel, das gesamte öffentliche, von ihm selbst gepflegte Image folgten hehnn und hohen Ansprüchen wie Gerechtigkeit, Religion, Moni, Wiedergutmachung und Glaubwürdigkeit.
Bei so viel - in diesem Falle auch noch öffentlicher
Betonung der eigenen Tugendhaftigkeit und Verantwortungs-Bewusstheit gerät das Leben leicht aus dem Gleichgewicht.
Solch ein Anforderungsprofil setzt einen Menschen unier Druck. Und es sorgt für eine dauernde innere Schieflage, weil sich mit der Zeit all die natürlichen Bedürfnisse, die dieser Mensch verurteilt und sich selbst verbietet, im Inneren seiner Persönlichkeit anstauen und schließlich mit Gewalt ihren Weg bahnen. Wer sich für besonders tugendhaft und moralisch hält, der muss jede nicht makellose Tendenz sofort von sich weisen, weil sie nicht mit seinem Selbstbild übereinstimmt. Gerade diese Verleugnung hindert allerdings seile Persönlichkeit an echter Reifung und kann leicht in ein Doppelleben führen.
Tatsächlich wurden dem angeblich unbestechlichen, stets der Wahrheit verpflichteten Mahner schließlich Drogen115
missbrauch, sexuelle Ausschweifungen mit Prostituierten und Kontakte zur Unterwelt vorgeworfen. Einer der Fahnder erklärte, de: Stoff, der gegen Friedmann vorläge, »reiche unproblematisch für eine mehrwöchige Serie in der Boulevardpresse«. Aus der Perspektive dieses Buches beschreibt dieser Stoff gleich ein ganzes
»Schattenkabinett«. Friedmann hat sich eine derart makellose öffentliche Rolle als Inquisitor in Sachen Gerechtigkeit gezimmert und über sich selbst erklärt, sein wichtigstes Konto »bestehe aus Wahrhaftigkeit«, dass er unbewusst gezwungen war, sich permanent an seinem moralisch überhöhten Anspruch zu messen.
Um im normalen Leben auch weiterhin von dei eigenen makellosen Tugendhaftigkeit überzeugt bleiben zu können, durfte dort kein Raum für den Fluss der eigenen Natur, für menschliche Schwäche und die Fehlbarkeit bleiben, aus denen Lebendigkeit und Mitgefühl für sich und andere erwachsen.
Während Friedmann mit
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