Liebe die bleibt
habe. Augustin trug ein Weihnachtskostüm, aber ohne Rauschebart. Auf seinem Kopf saß eine rote Zipfelmütze mit weißem Fellbesatz. Seine blonden, welligen Haare lugten widerspenstig unter der Mütze hervor. Augustins Wangen waren gerötet, seine Augen strahlten wie zwei Eiskristalle. Der lange Mantel reichte ihm bis zu den schwarzen Lederstiefeln hinab. Er hielt einen großen Tannenbaum in der Hand. Ich fand keine Worte, starrte ihn nur fasziniert an und lauschte mit kindlicher Begeisterung seinen Worten:
„Von draußen vom Walde komm ich her. / Ich muss Euch sagen es weihnachtet sehr! / All überall auf den Tannenspitzen, / sah ich goldene Lichtlein sitzen…“, ertönte Augustins Stimme.
Obwohl ich das Gedicht das letzte Mal in meiner Kindheit aufgesagt hatte, sprudelten die Worte nur so aus mir heraus:
„Und droben aus dem Himmelstor, / sah mit großen Augen das Christkind hervor, / und wie ich so strolchte durch den finstern Tann, / da rief’s mich mit heller Stimme an…“
Ich geriet ins Stocken , klebte an Augustins Lippen, bis mir der Text wieder einfiel.
K aum war der letzte Satz gesagt, war ich den Tränen nahe, ich war so überwältigt und gerührt, dass ich Augustin so überschwänglich umarmte, dass der Weihnachtsbaum zu Boden fiel.
„Der ist ja riesig“, schniefte ich, während ich auf den umgefallenen Tannenbaum deutete und mir unauffällig meine Tränen wegwischte. Augustin hievte den Baum in meine Wohnung. Der Duft von Tannennadeln breitete sich aus. Augustin schaute sich um und suchte einen passenden Platz für den Baum. Dabei musste er sich an meinem großen, antiquierten Kachelofen vorbeizwängen. Prüfend hielt er eine Hand auf die Kacheln und fragte, ob mir das Holz zum Einheizen fehle. Seit Jahren hatte ich den Ofen nicht mehr benutzt, weil ich zu bequem war, fünf Stockwerke hinunter in den Keller zu laufen und dann die Kohlen hinaufzuschleppen. Die Heizung aufzudrehen, das ist einfacher.
Augustin klärte sich sofort bereit, das für mich zu übernehmen. Bevor wir in den Keller gingen, schob ich rasch die Weihnachtsgans in den Ofen, dann schnappte ich den Kellerschlüssel und trampelte eilig die Holzstufen hinab. Augustin hingegen schwang sich seitlich auf das Geländer und rutschte nach unten. Das ging natürlich nicht geräuschlos vonstatten. Wir kicherten und alberten herum wie die Kinder. Im Erdgeschoss angekommen, wurde plötzlich eine Wohnungstür geöffnet. Frau Maurer, eine alte Dame, blickte uns neugierig, aber freundlich an. Unbefangen grüßte Augustin die alte Dame und wünschte ihr ein schönes Fest. Frau Mauerer bedankte sich und bedachte Augustin, der noch seine Mütze und seinen Weihnachtsmantel trug, mit aufmerksamem Interesse.
„Da haben Sie sich ja einen hübschen Weihnachtsmann angelacht, Frau Blumenthal“, sagte sie und zwinkerte mir respektvoll zu, bevor sie wieder leise die Tür schloss. Als wir den Keller betraten, blieb Augustin wie angewurzelt stehen und sog genießerisch den eigentümlichen Geruch ein. Eine Mischung aus Holz, Moder und gelagertem Obst.
„Das riecht genauso wie früher bei meiner Oma im Keller“, s tellte er begeistert fest, woraufhin er tatkräftig die Briketts in zwei große Reisigkörbe füllte und ich die Kisten mit dem Weihnachtsschmuck und den gusseisernen Tannenbaumständer hervorkramte. Schwer beladen traten wir den Rückweg an. Umständlich balancierte ich zwei unhandliche Kartons, die mir die Sicht erheblich einschränkten, die Treppe hinauf. Mir ging die Puste aus, während Augustin mit seinen zwei Kohlenkörben die Treppe hinaufhechtete, als wären wir bei einem Staffellauf. Meine Lungen waren für derartige Aktivitäten einfach nicht ausgestattet.
„Soll ich dir helfen?“, bot er sich an, als ich mich keuchend die Wohnungstür hineinschlängelte, während er bereits dabei war, den Ofen einzuheizen.
„Gleich wird’s richtig warm“, versprach er.
„Mir ist schon heiß“, erwiderte ich, während ich mich ausgepowert aufs Sofa plumpsen ließ .
„Du scheinst eine gute Kondition zu haben“, sagte ich nach einer Kunstpause und lächelte. Ein Lächeln, das zweideutig an meinem Lippen kleben blieb.
Augustin rieb sich seinen Dreitagebart und blinzelte mich verschmitzt an.
„Ja“, sagte er, „ich bin ganz gut in Form.“
Ich konnte seinem Blick nicht länger standhalten, ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Augustin schien meine Verlegenheit zu bemerken und wandte sich wieder dem Ofen zu. Er
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