Liebe Hoch 5
egal, es muss nicht einmal besonders schön sein. Wir machen nämlich Schrottwichteln.«
»Schrottwichteln? Was soll das sein?«
»Na ja«, versuchte ich zu erklären, »man verschenkt einen Gegenstand, den man nicht mehr mag und schon immer loswerden wollte, wie zum Beispiel eine hässliche Vase oder einen Porzellan-Harlekin. Das ist, hm, ziemlich witzig«, ergänzte ich. Dabei klang es in meinen Ohren überhaupt nicht lustig.
»Und da dachtest du, hier bekämst du etwas, das man als Schrott bezeichnen kann?« Sie blinzelte. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass etwas mit ihrer Brille nicht stimmte: Das rote Gestell leuchtete wie ein Warnlicht.
»Dann schau dich halt einfach mal um. Die meisten Sachen hier kosten nicht mehr als zehn Euro. Bis auf die Taschen natürlich und die großen Stofftiere.«
Ich warf einen Blick hinter mich, wo etliche Artikel vor sich hin staubten. Sicher hatten sie schon den Geruch der Räucherstäbchen in sich aufgesogen. Neben einigen Stoffbeuteln türmten sich Tassen mit Elchmotiven und Schlüsselanhänger in Form von Engelsflügeln.
»Können Sie mir etwas empfehlen?«, drängte ich sie. »Meine Mittagspause ist gleich zu Ende.«
Die Verkäuferin nickte und kam hinter der Theke hervor. Ein Bein in der abgewetzten Cordhose zog sie nach. Sie kehrte mir den Rücken zu und kramte in einem hoffnungslos überfüllten Regal. Im selben Moment klingelte mein Handy.
»Ja?«
Es war Jens, mein Kollege aus der Bücherei. Ob ich heute seine Stunden übernehmen könnte, erkundigte er sich. Seine Mutter musste ins Krankenhaus, und er wollte sie begleiten.
»Das passt mir grad nicht«, raunte ich in den Hörer. Dienstags ging ich immer zur Stepp-Aerobic, und ich hasste es, wenn ich aus dem Rhythmus kam. »Wusstest du das denn nicht früher?«
Die Verkäuferin sog hörbar die Luft ein. Ob sie was Interessantes gefunden hatte?
»Dann wenigstens, bis ich zurück bin«, flehte Jens. »Ich beeile mich auch, Luzie. Versprochen!«
Ich seufzte leise, während vor mir einige Artikel ausgebreitet wurden. Das Telefon unter das Kinn geklemmt, hob ich eine überdimensionale Schneekugel an. Das Etikett auf dem Kunststoffboden zeigte einen Preis von acht Euro.
»Ist okay«, sagte ich zur Verkäuferin, aber leider hörte Jens diese Antwort auch und bezog sie auf sich.
»Super, ich werde dir ewig dankbar sein.«
So ein Mist, dachte ich, wollte hier im Laden aber nicht diskutieren. »Dann gib mir deine Handynummer, damit ich dich erreichen kann, wenn es zu lange dauert«, verlangte ich und wedelte mit der Hand vor der Nase der Frau herum, um deren Aufmerksamkeit zu erlangen. »Können Sie das bitte einpacken?« Ich wühlte in meiner Handtasche. »Und haben Sie vielleicht was zum Schreiben?«
Sie reichte mir einen Kuli. Ich notierte die Nummer und legte auf, bevor ich die scheußliche Schneekugel bezahlte.
Das Windspiel an der Tür klirrte zum Abschied.
»Warte mal!«, rief die Verkäuferin mir hinterher, und ich drehte mich im Türrahmen noch einmal um. »Du hast …« Sie kratzte sich hinter dem Ohr. Dabei glühte ihre Brille feuerrot auf. »Ach, einen schönen Tag noch, wollte ich nur sagen.« Sie lachte leise gackernd, und ich trat auf die Straße.
Seltsam, diese Brille. Es hatte wirklich so ausgesehen, als hätte sie aufgeleuchtet. Aber vielleicht war das auch bloß ein Scherzartikel gewesen. Ich war jedenfalls erleichtert, dass ich diesen lästigen Einkauf hinter mich gebracht hatte. Allerdings ärgerte ich mich darüber, von Jens so überrumpelt worden zu sein. Mein geregelter Alltag war mir heilig, und ich mochte es überhaupt nicht, wenn etwas nicht nach Plan lief. Ich war ein Mensch, der auf Nummer sicher ging, der immer ein Päckchen Taschentücher dabei hatte, Aspirin, einen Regenschirm und eine Ersatz-Strumpfhose.
Als ich an der Bücherei ankam, hatte Frau Klein die Tür bereits aufgeschlossen. Zwei Mädchen eilten an der Ausleihe vorbei und stürmten in die Fantasy-Abteilung, wo, wie ich wusste, gerade erst ein neuer Band der Chroniken der Unterwelt eingetroffen war. Darauf waren die Mädels alle ganz scharf.
Ich suchte die Neuerscheinungen heraus, die noch katalogisiert werden mussten, und startete das Computerprogramm. Maske öffnen, ISBN eingeben und dann per Mausklick die Details aus dem Internet ziehen, wie praktisch. Nebenbei schrieb ich ein paar Mahnungen. Dann lieh sich ein Junge ein Gesellschaftsspiel aus, und damit nicht wieder ein paar Teile verloren gingen, die man
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