Liebe Hoch 5
mühsam nachbestellen musste, wollte ich ihm eine Notiz anheften. Der erste Kuli schrieb nicht, und ich warf ihn gleich in den Papierkorb. Beim zweiten ließ sich die Mine nicht herausdrücken. Und der letzte lief aus und hinterließ einen großen Tintenfleck. Seufzend nahm ich einen Bleistift zur Hand, der aber abbrach, sobald er das Blatt berührte.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, fluchte ich. »Denk daran, alle Teile des Spiels nachzuzählen, bevor du es zurückbringst«, gab ich dem Jungen mit auf den Weg. Als er wegging, sah ich noch, wie er die Augen verdrehte.
Gereizt durchwühlte ich meine Handtasche nach einem Stift. Meine Finger schoben Labello, Portemonnaie und Schlüsselbund beiseite und schlossen sich um ein kaltes Stück Metall. Überrascht zog ich es heraus. In der Hand hielt ich den Kugelschreiber aus dem Weihnachtsladen von vorhin – ich musste ihn aus Versehen eingesteckt haben. Wie konnte mir das nur passieren? Ausgerechnet dieses grässliche Teil hatte ich mitgehen lassen! Ich wollte es schon wegwerfen, da kam mir in den Sinn, dass es vielleicht so eine Art Lieblingsstück der Verkäuferin sein könnte. Der Stift sah nämlich nicht nach Massenproduktion aus. Wer würde auch so ein furchtbares Ding in Serie produzieren? Die Hülle war aus Metall gefertigt und hatte fast dieselbe Farbe wie die Brille der Frau. Auf dem oberen Ende thronte ein silberner Rabe mit gespreizten Flügeln, den Schnabel zum Schrei weit aufgerissen.
Ich sollte ihn der Verkäuferin zurückbringen, sicher vermisste sie den Stift bereits, überlegte ich. Da ich aber gerade keinen anderen Kuli zur Hand hatte, konnte es nicht schaden, wenn ich ihn bis dahin benutzte. Ich nahm die Liste mit den Vorbestellungen zur Hand. Dr. Paschulke hatte sich schon vor vier Wochen für den neuen Fitzek vormerken lassen. Und weil er ein Mann war, der Bücher am Esstisch las und bei denen man, wenn er sie zurückbrachte, zuerst die Krümel herausschütteln musste, schrieb ich auf meinen Block: Rückgabe diesmal bitte ohne Essensreste! , riss den gelben Zettel ab und klebte ihn auf das Buch.
Der Kuli leistete mir noch weitere Dienste an diesem Nachmittag. Einem Jungen, der es tatsächlich fertigbrachte, in jedes Buch Eselsohren zu machen, schrieb ich: Man macht keine Knicke in fremde Bücher! Der aufgetakelten Dame, die immer von einer Parfumwolke umgeben war, gab ich mit auf den Weg: Nicht jeder möchte bei der Buchausleihe Ihr Parfum riechen!
Und so ging es munter weiter:
Bücher gehören nicht in einen Raucherhaushalt!
Bücher sind nicht dazu da, um Fliegen oder Spinnen zu töten!
Nur rückgradlose Menschen brechen ihren Büchern den Rücken!
Benutzen Sie zum Tischabstützen das nächste Mal einen Bierdeckel und kein Taschenbuch Ihrer Bücherei!
Nachher hatte ich doch ein schlechtes Gewissen. Aber die meisten Besucher machten sich einfach keine Gedanken, wie rücksichtslos sie waren. Und es war an der Zeit, ihnen das einmal mitzuteilen. Außerdem ließ es sich mit dem hässlichen roten Kugelschreiber sehr gut schreiben, wer hätte das gedacht.
Als Jens um halb sechs immer noch nicht erschienen war, um mich abzulösen, holte ich den Block hervor, auf dem ich seine Nummer notiert hatte. Ich legte mein Handy ans Ohr.
»Die von Ihnen gewählte Rufnummer ist leider nicht vergeben.«
Oh Mann, das war wirklich blöd. In einer halben Stunde würde mein Kurs im Fitness-Studio anfangen. Zur Sicherheit tippte ich die Nummernfolge noch einmal vom Blatt ab, aber erneut hörte ich dieselbe Ansage. Ich besah mir den Zettel und dann mein Display. Da stimmte doch etwas nicht. Eben hatte ich zwölf Zahlen abgelesen. Jetzt standen aber nur noch sieben auf dem Papier. Hatte ich vielleicht doch vergessen, die Vorwahl zu notieren? Ich kniff die Augen zusammen.
Irgendwie kam mir diese Reihenfolge bekannt vor. Einer spontanen Eingebung folgend, drehte ich das Gerät auf den Kopf und las:
Verrückt. Als Kind hatte ich mit meiner liebsten Freundin Sarah immer versucht, auf dem Taschenrechner zu schreiben. Komisch, dass mir das gerade jetzt in den Sinn kam. Ich schüttelte den Kopf und wollte den Zettel schon wegwerfen, da entdeckte ich, dass zwei weitere Ziffern verschwunden waren. Nun stand dort nur noch: 38317, und auf dem Kopf gelesen bedeutete das Liebe .
Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal irgendwo dieses Wort gelesen hatte, geschweige denn geschrieben, aber es überlief mich eine Gänsehaut, als ich es nun vor mir
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