Liebe im Schnee
Tages das Ehepaar Krammetsberger aus Hinterteifi erschienen. Die rüstigen Leutchen waren zusammen zweihundertunddrei Jahre alt, hatten ihr einundachtzigjähriges Söhnchen dabei und ließen den Kleinen die ganze Nacht umsonst saufen. Da hatte der Wammetsberger junior das Schild wieder abnehmen lassen.
Mit einem weichen Tuch putzte Kirsten ihr Handwerkszeug. Sie kaute Kaffeebohnen dabei. Kaffeebohnen hielten wach. Denn Kirsten war müde. Eigentlich war es keine Müdigkeit.
Mehr ein wohliges Zerschlagensein. Das kam davon, wenn man vom Skilaufen nicht genug kriegen konnte. Sie hätten die Reiteralm nicht noch einmal machen sollen.
Kirsten hauchte auf den Siphon und räkelte sich wie eine Katze. Am liebsten hätte sie geschnurrt. Warum schnurrten die Menschen eigentlich nicht, wenn sie glücklich waren? Sie war glücklich.
Florian, dachte sie, Florian Leitner, Kirsten Leitner klang auch gar nicht so schlecht.
Hoppla, die Eiszange fiel ihr aus der Hand und schepperte über den Boden. Es gab so schrecklich viele Instrumente an einer Bar: Shaker, Barglas, Mischlöffel, Sieb, Fruchtspieße, Sektbecher, Eisstecher, Korkenzieher Dosenöffner, Spritzkorken — sie kam sich manchmal vor wie in einer chirurgischen Klinik.
Klinik? Himmel, wie mochte es Jan Kiekebusch gehen? Den hatte sie total vergessen. Hoffentlich war es nichts Ernsthaftes. Eigentlich ein rechter Unglücksrabe. Wie er da oben am Seil gehangen hatte mit seinen einsfünfundneunzig...
Sie mußte plötzlich furchtbar lachen. Es war zu komisch gewesen, als Trine ihm zubrüllte, er möchte doch gefälligst »eine Klimmssug« machen oder ein Knie »rumslingen«.
»Vögel, die abends singen, holt morgens die Katze, sagt man in Dänemark.«
Kirsten schaute erschrocken auf. Trine stand vor ihr.
»Grüß dich, Trine, wie geht es Jan?« fragte sie schuldbewußt. Das Lachen war ihr vergangen.
Trine zog aus einem großen Kuvert ein düsteres Foto. Es war eine Röntgenaufnahme. »Hier ist sein unteres Bein. Er hat einen glatten Schrägbruch mit ausgedehnter Berührungsfläche«, sagte sie bekümmert.
»Ist das sehr schlimm?« Kirsten hielt die Aufnahme gegen das Licht. Aus milchigem Dunkel hoben sich Jan Kiekebuschs Schien- und Wadenbein ab. Komisch, wie Kiekebusch von innen aussah.
»Es ist nischt slimm. Doktor Hacks sagt, besser kann man sisch einen Knochen gar nischt sserbrechen.«
»Ein Gemütsathlet, dieser Doktor.« Kirsten holte die Flasche mit dem garantiert acht Jahre alten Enzian aus dem Regal. »Wie war’s, Trine, auf den Schreck?«
»Es kann mir nischt schaden.«
Kirsten füllte zwei Stamperl. Sie tranken und genossen den opiumartigen Geschmack der Enzianwurzel. Eigentlich, dachte Kirsten, brauchte ich meine Perücke gar nicht mehr. Jan Kiekebusch war ja außer Gefecht. Ihr fiel ein Stein vom Herzen.
»Du, Trinchen, jetzt kann ich endlich diesen schrecklichen Mob vom Kopf nehmen, brauche mich nicht mehr so idiotisch anzumalen, und kann wieder mit normaler Stimme sprechen. Der Jan, der wird ja vorläufig sein Zimmer hüten müssen.«
»Du kannst es nischt.«
»Du meinst, er könnte hier mal runtergehumpelt kommen? Soll er mich doch erkennen. Das ist jetzt alles nicht mehr so wichtig, seitdem...«
»Seitdem?«
»Ach, Trinchen, ich habe die Komödie ja so satt. Schau, wenn der Florian heute abend in die >Sonne< kommt und er schwärmt der Kiki etwas von der Kirsten vor, da komme ich mir so schamlos vor, so..., so..., verstehst du das nicht?«
»Du hast ihn gern, diesen... wie sagtest du, Hallodri, Schürssenjäger und...«
»Er wird nie wieder eine Schürze jagen, verlaß dich drauf!«
»Hast ihn also gern?«
»Ich habe ihn nicht gern, ich liebe ihn!«
»Es hilft ssu nischts, du mußt trotzdem noch ein wenig Kiki bleiben.«
»Ja, aber warum denn um Himmels willen?« fragte Kirsten und wurde richtig ärgerlich auf die Freundin.
»Weil«, sagte Trine, »aber es ist besser, du setzest disch. Und mache die Gläser voll, du kannst es gebrauchen.«
Kirsten schaute sie kopfschüttelnd an.
»Weil heute abend um 20.32 Uhr dein Ersseuger eintrifft. Isch muß ihn holen. Jan hat doch seinen Schrägbruch.« Sie schaute auf ihre Armbanduhr. »Ssehn nach acht, da muß isch schon sputen.« Sie glitt von ihrem Hocker. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Der Herr Konsul wohnt übrigens auch in der >Sonne<. Farvel, Mädschen! Lebewohl!«
Da schenkte sich Kirsten ihren dritten Enzian ein.
Stationsvorsteher Obermayer schritt stampfend auf
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