Liebe im Schnee
eines Irrenarztes. Er drehte Jan Kie-kebuschs Skistiefel langsam nach links. »Schmerzen?«
»Jaaaaa«, wimmerte Trine.
»Wieso?« Doktor Hacks sah irritiert auf. »Ach so, ja. Fräulein Hendricksen, es wäre vielleicht besser, Sie warteten draußen in meinem...«
»Ach bitte, lassen Sie mir hier abwarten«, flehte Trine. Sie ließ sich auf einen Drehstuhl sinken und sah sich im Sprechzimmer um. Es war ein hochmodernes Sprechzimmer. Der Instru-mententisch blitzte. Medikamentenschrank und Scheibtisch waren aus Teakholz, das Mikroskop ganz neu, der Verbandstoffeimer besaß Stromlinienform, und die Röntgenapparatur sah aus wie ein Atombrenner.
Der Doktor nahm eine Schere und zerschnitt rücksichtslos Jan Kiekebuschs 145-DM-Modellhose. »Hoffentlich ist es keine Splitterfraktur. Hatte da einen Fall, wie Waffelbruch, sage ich Ihnen, knirschte nur so.«
Jan Kiekebusch wurde, so weit das möglich war, um eine Nuance bleicher.
Doktor Hacks tastete sich am Schienbein empor »Druckschmerz?«
»Neiiinnn.«
»Hier?« Er drehte ein wenig am Bein herum. »Am schlechtesten heilen die Korkenzieherbrüche. Da war neulich einer hier... Druckschmerz? Nein? Der hatte sich mit dem Skistock sämtliche Vorderzähne wegrasiert und... Druckschmerz?« Es gab ein knarrendes Geräusch wie von einer alten Tür. Es war aber keine alte Tür, sondern die zerbrochenen Enden des Kiekebuschschen Schienbeins, die sich gegeneinanderrieben.
»Aha«, sagte Doktor Hacks erfreut, »wußte ich es doch. Na, wie fühlen Sie sich?«
Jan Kiekebusch fühlte sich sehr wohl. Er war unauffällig in Ohnmacht gefallen.
»Na schön«, sagte Hacks mit mißbilligendem Stirnrunzeln und wusch sich die Hände. »Die letzten Informationen wird uns der Röntgenapparat liefern. Dann gipsen wir.« Er wandte sich an Trine. »Welche Farbe wird denn gewünscht?«
»Nimmt man da nicht weiß?« fragte sie verschüchtert.
»Weißer Gips ist konservativ. Gewiß, wenn der Patient Autogramme sammeln will auf dem Bein, da macht es sich besser. Sonst würde ich rosa empfehlen, flamingorosa oder marineblau, das ist das neueste.«
Trine entschied sich für rosa, das paßte zu ihrem neuen Kostüm.
»Wie war es im einzelnen. Frontalsturz?« Hacks trocknete sich die Hände mit samtweichem Frottee. »Oder wie ist er gefallen, unser junger Mann?«
»Vom Sessel, Herr Doktor.«
Der Doktor ließ verwirrt das Handtuch fallen. Eine Schwester begann, Jan Kiekebusch die Hose auszuziehen. Trine zog sich diskret zurück.
Draußen im Wartezimmer saß Florian Leitner und blätterte in einer vier Monate alten Illustrierten. »Wie hammas denn?« fragte er.
Trine zuckte mit den Achseln. »Er ist nischt bei sich.«
Die Tür öffnete sich. In ihrem Rahmen stand die Schwester. »Der Patient will Sie dringend sprechen, Fräulein Hendricksen.«
Trine stürzte in das Sprechzimmer.
»Können Sie mir noch einen Gefallen tun, liebe Trine?« fragte Jan mit todesmatter Stimme.
»Jeden, Jani!« — Liebe Trine, hatte er gesagt.
»Dann fahren Sie, bitte, heute abend zum Bahnhof. Mit dem D-Zug um 20.32 Uhr, da kommt jemand, den wollte ich abholen.«
»Isch will es exakt besorgen. Wer ist es denn?«
»Es ist der Konsul Bremer aus Hamburg...«
Das fünfte Kapitel
KIKI TRINKT HÖLLENWASSER
Um sieben Uhr ist eine Hotelbar noch leer. Um sieben Uhr sitzen die Gäste im Speisesaal und verschaffen sich das, was man »die Unterlage« nennt.
Nur das Barfräulein hat dazu keine Zeit. Weil an einer Bar Ordnung herrschen muß. Wenn es eine ordentliche Bar sein will. Das hatte Kirsten Bremer in München gelernt. Als sie auf den Universitätsbällen ihr nächtliches Brot verdiente. Denn Vater Bremer hielt seine Tochter stets knapp.
Apropos Geld, aufregend war das nicht, was die Leute hier springen ließen. Trinken wollten sie alle mit ihr, Gelder geben wollten die wenigsten. Am geizigsten waren die Engländer. Während die Deutschen nie genau wußten, ob es zuviel war oder zuwenig.
Sie ließ ihren Blick prüfend über das Regal schweifen. Cognac, Whisky, Wodka, Rum, Calvados, Birnengeist — wohl-ausgerichtet standen die Flaschen, in denen die Träume wohnten. Die Gläser blitzten. Die bunten Trinksprüche auf dem Spiegel riefen ein mehrsprachiges Prost: »Cheerio! — Skaal! — Santé! — Zivio! — Salute! — Here’s to you! — Sahawa’ afiah!«
Früher hatte da noch ein anderes Schild gehangen. Mit der Aufschrift: »Gepumpt wird nur Achtzigjährigen in Begleitung ihrer Eltern.« Dann war eines
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