Liebe im Schnee
Girlanden.
»Und ruinier mir die Decken net!« sagte er.
Er sagte es freundlich. Sein Zorn wegen gestern abend, als die Kiki ausgeblieben war, der war verraucht. Nicht lange böse sein konnte man dem Madl.
Kirsten hämmerte und hörte nicht, daß der Wammetsberger in die Küche gerufen wurde. Sie hörte auf zu hämmern und betrachtete prüfend ihr Werk.
»Mehr nach rechts!« tönte eine Stimme von unten. Kirsten schaute von ihrer Leiter herab. Unten stand ihr Vater und rief: »Hallo, Fräulein Kiki! Sie leben also noch?«
Kirsten faßte mechanisch in Richtung Kopf, ob sie die Perücke aufhatte. Dabei glitt ihr der Hammer aus der Hand.
Als der Hammer dem Konsul auf den rechten Fuß fiel, hatte er seine größte Fallgeschwindigkeit noch nicht erreicht. Die Wirkung war trotzdem beachtlich. Bremer stieß einen Klagelaut aus, nahm den rechten Fuß in beide Hände und tanzte durch den Raum.
Kirsten wußte, daß ihr Vater am rechten Fuß fünf Hühneraugen hatte. An jedem Zeh eins. Es mußte scheußlich weh tun.
»Entschuldige bitte, Vati!« rief sie spontan. Und dann wäre sie vor Entsetzen beinahe von der Leiter gekippt.
Sie saß in der äußersten Ecke des Speisesaals an einem Tisch und beobachtete mit ängstlichem Gesicht ihren Vater. Bremer glich einem Tiger kurz vor der Fütterung. Mit großen Schritten lief er vor ihr auf und ab. Er schlug mit der rechten Faust in die linke Handfläche und zwischendurch auf die Tischplatte. Er sagte das, was die meisten Väter in solchen Fällen zu sagen pflegen.
Nämlich: »Was hast du dir dabei überhaupt gedacht, möchte ich gern wissen?!«
Und: »Viel zu viel Freiheit haben wir dir anscheinend gelassen. Wenn ich an meine Jugend denke...«
Und: »Viel zuviel Freiheit haben wir dir anscheinend gelassen. Wenn ich an meine Jugend denke...«
Und ähnliche Dinge aus dem jahrhundertealten Repertoire hilfloser Familienvorstände.
Kirsten hielt den Kopf gesenkt und machte in Zerknirschung. Zerknirschung war immer gut. Dann spürte sie eine Hand unter ihrem Kinn. Die Hand hob ihr Gesicht empor. Ihr Vater sah ihr in die Augen.
»Stell dir doch mal vor, Mädchen«, sagte er eindringlich, »es hätte dich einer aus Hamburg erkannt! Einer von den Mönckebergs, von den Amsincks oder den Sievekings?!«
Kirsten zuckte mit den Achseln. Das war ihr nun völlig schnuppe.
»Wozu überhaupt diese ganze Komödie?«
»Wegen Skilaufen«, sagte Kirsten, »dein Wechsel reichte für diesen Luxus nicht.«
»Großartig! Bin ich also schuld. Und die karottenrote Perücke, die ...«
»... mußte ich auf setzen, damit Jan mich nicht erkennt. Der ist mir prompt am ersten Tag hier über den Weg gelaufen.«
Der Konsul war für Logik momentan nicht zuständig. »Meine Tochter als Barfrau, als . . als Animiermädchen in einer Tanzdiele, angemalt wie eine Halbweltdame!«
Kirsten biß sich mit den Vorderzähnen auf die Unterlippe. So durfte er ihr nicht kommen. »Barmädchen, Vater...«, (sie sagte »Vater« und nicht »Vati«!) »Barmädchen sein ist genauso ehrenwert wie mit Zimt handeln.«
Der Gewürzimporteur John Henry Bremer aus Hamburg machte ein Gesicht, als sei ihm zum zweitenmal ein Hammer auf die Hühneraugen gefallen.
»So«, sagte er, »so! Das ist also deine Meinung.«
Er spürte, daß das kein Argument war, und fing an zu schimpfen: »Nimm endlich diesen roten Fummel vom Kopf, ich kann dich nicht mehr so sehen!«
»Vati, schrei doch nicht so, die Leute...!«
»An die Leute hättest du denken sollen, nicht ich!«
»Nun beruhige dich doch!«
»Be—ru—hi—gen?« Er setzte sich rittlings auf einen Stuhl und verschränkte die Arme über der Lehne. »Meine Tochter schwänzt die Universität, belügt ihre Wirtin, verdingt sich als Barfrau, verbringt eine Nacht mit einem wildfremden Mann auf einer Hütte, und ich, ich soll mich beruhigen!«
Er nahm seine Wanderung wieder auf. »Über die Sache mit der Hüttennacht«, er räusperte sich verlegen, »darüber werden wir uns später noch unterhalten. Im übrigen steht mein Entschluß fest: du packst deine Koffer und nimmst den Abendzug Richtung Hamburg. Das mit deinem Chef hier erledige ich.«
»Ich fahre nicht!« sagte Kirsten.
»Du fährst!« sagte Bremer.
»Nein!«
»Doch!«
Sie duellierten sich einen Moment lang mit Blicken.
Kirsten verlor und schlug die Augen nieder. »Vati«, sagte sie ganz leise, »ich liebe ihn doch.«
»Wen liebst du?«
»Florian Leitner.«
»Ich habe nichts dagegen, das heißt, ich habe sehr viel
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