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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schnell. Am 26. April 1918 wurde die Zarenfamilie in sieben offenen, primitiven Kutschen von Tobolsk nach Jekaterinburg gebracht. Das ganze bisherige Gefolge blieb zurück oder wurde verhaftet. Nur Dr. Botkin, der Leibarzt, der Koch und ein Küchenjunge, der treue Kammerdiener Trupp sowie die Kammerfrau Demidowna durften mitreisen. Jakowlew selbst fuhr im ersten Wagen neben dem Zaren mit und übergab die kaiserliche Familie Jankel Jurowski.
    Am 17. Juli 1918, nachts um 1.15 Uhr, wurden sie alle erschossen: der Zar, die Zarin, die Zarentöchter, der Zarewitsch, Dr. Botkin, die Kammerfrau Demidowna, der Koch Charitonow, der Kammerdiener Trupp und sogar der kleine Küchenjunge – im Keller der Villa Ipatieff. Erschossen von zehn Abenteurern, für die die Revolution das große Fest des Zerstörens war. Stumpfsinnige Burschen, Balten, Tschechen und Ungarn, die töteten, wie sie Zigaretten rauchten oder Schnaps soffen. Sie hießen Edelstein, Waganow, Fischer, Nikulin, Feckete, Grünfeld, Verhasy, Nagy, Horwarth und Medweden.
    Vor den Toren Jekaterinburgs aber donnerten bereits die Geschütze der weißen Koltschakarmee . Am 25. Juli eroberten die weißrussischen Truppen die Stadt, die roten Bataillone wichen aus und fluteten in das sibirische Tieflandbecken hinein. Tobolsk und Tjumen wurden ihre Festungen. Am Tobol und am Irtysch wuchsen Schützengräben und Erdbunker, wurden Dörfer zu Stützpunkten, zwang man die Bevölkerung, die bolschewistischen Bataillone zu verpflegen.
    Es war ein heißer Abend, der 2. August 1918. Die weißrussische Koltschakarmee war auf dem Marsch nach Tobolsk. Jakowlew rief Jerschow zu Hilfe, aber vergeblich. Jerschow sagte zwar am Telefon: »Ich komme sofort, Genosse!«, aber dann vergaß er es so lange, bis die Verbindung nach Tobolsk abriß.
    Es war der Fischer Awdil Jakowlewitsch Schmjelkow , der den alten zerlumpten Mann zuerst entdeckte. Awdil saß friedlich am Fluß und flickte sein Netz, als der Alte auf einem wankenden Pferd auftauchte. Er hing nur noch im Sattel und hielt sich mit Mühe fest, und der Gaul stolperte dahin, wohin er wollte, seinem Instinkt nach zu den Menschen, wo es für ein braves Pferd immer etwas zu fressen und zu saufen gibt.
    »He!« schrie Awdil Jakowlewitsch den Alten an. »Du fällst gleich vom Pferd! Steig ab, Väterchen, nimm einen Schluck und erhole dich. Wie kann man ein Gäulchen nur so zu Schanden reiten! Wie lange bist du unterwegs?«
    »Vier Tage!« sagte der Alte, rutschte aus dem Sattel und fiel ins Ufergras. Dort blieb er liegen, rang nach Luft und trank gierig das lauwarme Wasser aus Awdils Flasche. Der Fremde hatte einen eisgrauen Bart, lange, zottelige weiße Haare und ein von Entbehrungen gezeichnetes Gesicht, er aß gierig den Käse, den ihm Awdil anbot, und ließ sich dann wieder ins Gras fallen.
    »Bis nach Nowo Prassna sind es noch fünf Werst, nicht wahr?« fragte er dann.
    »Das stimmt. Aber was willst du in Nowo Prassna? Dort regiert der rote Kommissar Jerschow. Bist du rot oder weiß, Alterchen?«
    »Ich bin gar nichts, Brüderchen«, sagte der Alte.
    »Das ist am schlechtesten! Wenn du auf der Seite der Roten stehst, bist du hier gut aufgehoben; sonst mußt du nach Westen zur Koltschakarmee.«
    »Lebt Wanda Timofejewna noch?«
    »Du kennst sie? Ha! Wer sollte die umbringen? Nur der Teufel selbst!«
    »Das ist gut, Brüderchen!« Der Alte schloß die Augen. Awdil glaubte schon, er sei plötzlich gestorben, aber dann sah er ihn doch noch atmen. »Dann war nichts umsonst …«
    Eine dunkle Rede, wahrlich! Nach einer Stunde kletterte der Alte wieder in den Sattel, trieb sein Gäulchen mit Zurufen an und trottete weiter. Der Fischer Awdil Jakowlewitsch blickte ihm kopfschüttelnd nach. Menschen sind jetzt unterwegs – dachte er. Man kennt sich nicht mehr aus! Nicht weiß – nicht rot – gar nichts! Ist das auch eine Partei?
    Der Alte erreichte das kleine Dorf Nowo Prassna und durchritt es, ohne daß man ihn anhielt. Nur Luschek sah ihn. Er saß bei Latifa im Haus – wo sonst? –, aß gerade ein Stück Fleisch zu Abend und freute sich auf das Bett.
    »Das kann nich sein …«, meinte Luschek und schaute aus dem Fenster. »Det is doch nich möglich …«
    »Was hat mein Wölfchen?« fragte die Kleine und küßte Luschek in den Nacken. »Das Väterchen auf dem Gaul? Kennst du es?«
    »Det sin doch Halluzinatzjonen …« Er biß wieder in das Fleisch.
    Vor dem Haus der Prochkows fiel der alte Mann fast vom Pferd, ließ es einfach laufen und

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