Liebe in St. Petersburg
Widerstand der Kosaken. Sie ritten zurück über Pestrawka, das sie noch einmal bestraften, indem sie 19 Hütten anzündeten, danach verschwand der Rest der Horde in der Weite der sibirischen Ebene.
Jerschow verfiel in tiefes Grübeln. Aus Tobolsk hörte er, daß überall im Land rote Bataillone wüteten, daß sich trotz aller Aufrufe und Strafen die Ordnung auflöste und anscheinend jeder zuerst daran dachte, die neue Freiheit zur persönlichen Bereicherung zu mißbrauchen. Geschäfte wurden geplündert, Dörfer überfallen, ihre Bewohner verjagt …
»Es ist ein Gärungsprozeß!« sagte Jerschow. »Jeder gute Wein ist erst wild, bis er zur Reife kommt! Wer Jahrhunderte auslöschen will, darf nicht ein einziges Jahr als Maßstab nehmen!«
Das war irgendwie logisch – aber in Tobolsk schien Jerschow wirklich Schwierigkeiten zu haben. Er wurde immer stiller, verschlossener, nachdenklicher … Er stempelte Todesurteile am laufenden Band. Gregor hatte genug zu tun, um sie zu verbrennen.
»Und aus Trasnakoje kommt keine Nachricht …«, sagte Grazina, als sich der Frühling mit warmen Winden ankündigte und das Eis auf dem Tobol zu krachen begann.
»Wo steckt Papa?« fragte Grazina, als Jerschow nach einem Chopinkonzert applaudierte und gesüßten Tee trank. »Warum hört man nichts von ihm? Der Krieg ist längst zu Ende, die Armee aufgelöst …«
»Vielleicht ist er in Gefangenschaft«, meinte Jerschow.
»Dann hätte Mama es geschrieben. Aber man hört ja überhaupt nichts mehr …«
Jerschow ließ bei seinem nächsten Besuch in Tobolsk nachforschen. Man hatte ja jetzt alle Verbindungen. Der Zar lebte mit seiner ganzen Familie und einem Gefolge von 36 Mann, darunter der Leibarzt Dr. Botkin, der Leibkoch Charitonow, die Erzieherin Fräulein Schneider, der Hauslehrer Pierre Gilliard und der Hofmeister Prinz Dolgorukow, jetzt im Gouverneurspalast von Tobolsk. Er wurde bewacht von einem Kommissar Makarow, den die Revolutionsregierung aus Petrograd – wie St. Petersburg nun hieß – eingesetzt hatte.
Mit Makarow verstand sich Jerschow nicht. Der Kommissar war ein Rohling, der meistens betrunken war und nur auf den Befehl wartete, daß man den Zaren weiter nach Sibirien verbannte, dorthin, wo Hunderttausende unter dem Zaren gebracht worden und nie wieder zurückgekehrt waren.
Jerschow erfuhr viel. Die Adligen waren entweder tot oder geflüchtet, die Großgrundbesitzer enteignet. Die Rote Armee begann, die noch intakten zarentreuen Truppen der regulären Armee zu zerschlagen. Überall flackerten Bandenkriege auf … Einmal durchzogen ›Weiße Truppen‹ das Land und plünderten, dann kamen die ›Roten‹ und benahmen sich nicht anders. Es war ein Chaos. Aber aus Trasnakoje fehlte jede Nachricht.
Das änderte sich erst, als man Makarow ablöste und aus Moskau ein Kommissar Jakowlew erschien.
Dieser ließ Jerschow zu sich rufen, teilte ihm mit, daß die Partei ihm herzlich danke für alle geleistete Arbeit, aber nun sei er, Jakowlew, in Tobolsk und übernehme die Regierung und die Wiederherstellung der Ordnung. Dann gab er Jerschow die Hand, ernannte ihm zum Volkskommissar für das Tobolgebiet, unterstellte ihm drei rote Bataillone und ließ durchblicken, daß Jerschow von nun an in Tobolsk nichts mehr zu suchen habe – es sei denn, man rufe ihn zum Rapport!
Jerschow ging trotzdem nicht sofort, sondern fragte höflich, ob der Kommissar zufällig etwas von Trasnakoje und der Familie Michejew wisse.
»Trasnakoje?« wiederholte Jakowlew überlegend. »Graf Michejew? Dieser General, dieses Miststück? War er nicht ein Freund des Großfürsten? Und die Gräfin eine gute Freundin der Zarin und der Wyrobowa? Ich glaube, Iwan Iwanowitsch, da steht kein Stein mehr auf dem anderen. Da haben wir gründlich die Vergangenheit ausgelöscht. Gerade da! Kennst du diese Hunde?«
»Flüchtig. Ich habe dort zwei Jahre agitiert, Genosse.«
»Das hat man gemerkt!« Jakowlew lachte schallend. »Im Bezirk der Michejews hat es die meisten Hinrichtungen gegeben! Du bist ein guter Agitator, Genosse Jerschow! Bravo! Aber das weiß man auch in Moskau – bestimmt!«
Jerschow kam nach Nowo Prassna zurück und schwieg. »Nichts!« sagte er nur auf Grazinas viele Fragen. »Es heißt nur, der Zar soll nach Jekaterinburg gebracht werden. Dort hat man die Villa des Kaufmanns Ipatieff beschlagnahmt. Ein neuer Volkskommissar regiert da, ein gewisser Jankel Jurowski. Und die Weißrussen rücken immer näher!«
Es ging dann alles sehr
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