Liebe in St. Petersburg
Und warum? Nur weil ich Geld habe und mich immer bemüht habe, dieses Geld zu behalten und einem ganzen Dorf Arbeit zu geben! Erschießen, das könnt ihr vorzüglich! Aber denk an die Blatnjaki und unsere wandernden Büsche! Es wird überall diese Büsche geben – auch gegen euch!«
»Wo sind Grazina Wladimirowna und Gregorij?« fragte Jerschow schwer atmend. »Hoffentlich sind sie wenigstens weg!«
»Sie sind natürlich hier!«
»Ihr Narren! Wer soll euch schützen?«
»Muß man vor euch geschützt werden?«
»Wanda Timofejewna, wir haben keine Zeit für rhetorische Kunststückchen! Es ist reiner Zufall, daß ich das Gebiet Tjumen - Tobolsk übernommen habe. Im Gebiet Jekaterinburg oder Perm wäret ihr schon längst erschossen! Begreift ihr denn nicht: Damit Rußland so wird, wie wir es erträumen, muß eure Gesellschaft vernichtet werden!«
»Und was soll Rußland werden?« fragte Tante Wanda zurück. »Ein Land, in dem jeder blutbefleckte Hände hat?«
»Ich erkläre hiermit das Haus der Prochkows als besetzt!« schrie Jerschow. »Im Auftrag der Räteregierung von Tobolsk enteigne ich den gesamten Besitz und übergebe ihn dem Volk! Sie, Bürgerin Wanda Timofejewna, stehen unter Arrest!«
»Sag das noch einmal, Iwan Iwanowitsch!«
Jerschow funkelte sie zornig an. »Sie, Bürgerin Wanda Timofejewna …«
»Danke, das genügt!« sagte Tante Wanda und lachte schallend. »O Iwan Iwanowitsch!« rief sie und bog sich vor Lachen. »Was bist du doch für eine komische Figur!«
Jerschow biß sich auf die Lippen. Er ahnte, daß Diskutieren hier wenig Sinn hatte. Darum ließ er zunächst sechs Lastwagen unter dem Befehl des Genossen Pluschkinow weiterfahren in die Kleinstadt, blieb mit der Besatzung eines Lastautos in Nowo Prassna und richtete im Herrenhaus eine Art Befehlszentrale ein. Tante Wandas Teesalon bestimmte er zu seinem Revolutionsbüro. Hier saß er auf einem Damastsessel hinter einem Barockschreibtisch und haute einen dicken Stempel unter Stapel von Papieren.
Aber die Sache hatte einen Haken. Als nämlich die sechs Lastwagen weiterfuhren, kamen Gregor und seine ›Streitmacht‹ aus der Scheune und umstellten das Herrenhaus. Luschek und sein Stoßtrupp entwaffneten die Genossen auf dem Lastwagen, die so überrascht waren, daß sie noch revolutionäre Lieder sangen, als längst die Gewehrläufe auf sie gerichtet waren. Gregor stürmte ins Haus und richtete seine Waffe auf Jerschow.
Dieser aber lächelte. »Gregorij Maximowitsch«, sagte er gelassen, »Sie haben eine Dummheit gemacht. Sehen Sie es bitte ein: Sie haben mitten im Revolutionsgebiet Bolschewisten gefangengenommen und damit Ihre Gegnerschaft zum neuen Regime dokumentiert. Was soll das? Meine Genossen werden zurückkommen und Sie alle erschießen. Auch wenn Sie uns als Geiseln gebrauchen wollten, jeder weiß, daß wir lieber sterben als um Gnade winseln. In jeder Stadt, in jedem Bezirk wird bis Ende des Jahres eine Räteregierung sitzen. In wenigen Tagen beginnen die Friedensverhandlungen mit Deutschland …«
Gregor starrte Jerschow ungläubig an. »Mein Gott …«, stammelte er und ließ die Hand sinken. »Ist das wahr? Rußland hat den Krieg verloren …?«
»Weil wir es wollen! Unsere Ziele sind andere. Deutschland wird diesen Krieg auf anderen Kriegsschauplätzen verlieren. Für uns gibt es nur noch die Weltrevolution! Wir geben uns geschlagen und haben Ruhe für eine neue Stärke! Was seid ihr alle gegen Lenin?«
So wurde in Nowo Prassna ein merkwürdiger Zustand praktiziert: Die Kapitalistin Wanda Timofejewna lebte weiter als Herrin auf ihrem enteigneten Besitz, der deutsche Oberleutnant Gregor von Puttlach hielt sich weiter dort versteckt, die Tochter des verhaßten Generals Michejew spielte abends Klavier, Sonaten von Chopin und Schubert meistens, und der neue Gebietskommissar Iwan Iwanowitsch Jerschow saß auf einem Damastsofa, hörte zu und applaudierte artig. Er liebte Chopin über alles.
Jerschows 24 Genossen freundeten sich mit den Leuten von Nowo Prassna an, wozu auch beitrug, daß vier Weibchen so klug waren, sich die Röcke nicht an den Fußknöcheln zuzubinden. Im Grund genommen war man sich einig: die Zarenherrschaft hatte viel Leid gebracht, Wanda Timofejewna dagegen war allen wie eine Mutter; sie anzurühren, wäre ein Verbrechen gewesen, und außerdem – sie waren doch alle Russen! Was will man mehr?
Da war nur die Sache mit Jerschows Revolutionsbüro.
Iwan Iwanowitsch hatte alle Hände voll zu tun; täglich
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