Liebe Isländer: Roman (German Edition)
Schwermut an, sind genervt, verwittert, reizbar, und unsere Stimmung schwankt in dieser Zeit genauso wie die der Wettergötter. Wir werden Island. Der Sommer auf dieser wundersamenStation hier draußen im Meer ist die Besuchszeit, dann werden Onkel und Tanten empfangen und Experten. Außerdem sollte diese Reise nicht cosy werden. Ich wollte meinen Bart wuchern lassen, frieren, mich in mich selbst zurückziehen, verrückt werden. Aufwachen!
Ja, aufwachen. Ich hatte die Nase gründlich voll davon, aufzuwachen, um zur Arbeit zu gehen, damit ich die Mittel dafür hätte, bei Ríkið, dem staatlichen Alkoholgeschäft, in der Schlange stehen und dann auf Partys gehen zu können, wo das größte Vergnügen darin bestand, Begebenheiten von anderen Partys aufzuwärmen. Ich war es müde, zu versuchen, cool vor dem Türsteher vom Kaffibarinn zu sein, damit ich eingelassen würde, nur um genau dieselbe Stimmung wie am Wochenende davor zu erleben. Ich war das Gefühl unendlich leid, dass alle vorgaben, in Kürze ganz groß rauszukommen, abgesehen von mir. Und dann um drei Uhr die Lichter wieder angehen zu sehen. Ich war es leid, mich völlig verkatert den Laugavegur entlangzuschleppen und zu versuchen, mich daran zu erinnern, wo ich das Auto am Abend vorher abgestellt hatte. Ich hatte die Nase voll davon, in Cafés zu sitzen und Latte macchiato zu trinken und koffeingetunte Pläne zu schmieden, die doch nie Realität würden. Der graue Himmel ödete mich an, die nassen Straßen auch und vor allem ich mich selbst. Aber am allermeisten die Musik von
Gusgus
und allzu muntere Radioleute.
Nachdem mir die Idee gekommen war, zu dieser Jahreszeit um Island zu reisen, gab es kein Zurück mehr. Sie setzte sich in meinem Kopf fest, und ich sehnte mich danach, so schnell wie möglich loszukommen. Fort aus Reykjavík, hinaus aufs Land. Außer einem Sommer fernab der Stadt und einigen Touren mit den Eltern, die in Akureyri endeten, war ich bisher so gut wie gar nicht in Island gereist und hatte auch nie das Verlangen danach gehabt. Jetzt sah ich mich bald im schneebedeckten Hochland unter sternklarem Himmel Feuer machen, bald in lange Debatten mit Bauern vertieft, einen Kaffeebecher in der Hand. Das schien mir der beste Einfall, den ich je in meinem Leben hatte, und ich war überzeugt davon, ich würde wie neugeboren zurückkommen.
Doch zuerst musste ich mir einen Jeep kaufen. Er durfte nicht mehr als dreihunderttausend Kronen kosten. Und es musste möglich sein, in ihm zu schlafen, auch, weil ich nicht über die Mittel verfügte, zwei Monate lang in Hotels zu übernachten. Er durfte auf keinen Fall irgend so eine unsichere Karre sein, die mitten in den Bergen eine Panne haben würde. Jedoch durfte er auch nicht zu flott sein, weil ich keine Lust hatte, meinen Ring in einem Land-Cruiser zu fahren, so wie ein Zahnarzt im Urlaub. Außerdem sollte er das gewisse Etwas haben. Ich würde die nächsten zwei Monate mit ihm verbringen und wollte deshalb, dass er einen guten Charakter hatte. Allerdings verstanden mich die Autohändler nicht ganz, als ich fragte, ob sie einen charmanten Jeep dahätten. Und als ich in einer Anzeige nach einem Wagen mit Charakter fahndete, wurden mir entweder irgendwelche Schrottkisten angeboten, an denen ich wahrscheinlich die nächsten Jahre herumbasteln würde, um sie wiederherzustellen, oder höhergelegte, mutierte Benzinmonster, die von ihren Besitzern in den letzten Jahren verhätschelt worden waren.
Ein Wagen mit Charakter? Ich klapperte sämtliche Autohändler der Stadt ab, sah mir zig, wenn nicht sogar hundert Jeeps an. Doch sie waren entweder zu teuer, in miserablem Zustand, beunruhigend neu gespritzt, hatten schlechte Reifen, zu viele Kilometer runter, indiskutable Schlafplätze oder einfach nicht das gewisse Etwas. Nach zwei Wochen pausenloser Suche begann ich zu verzweifeln, und was noch schlimmer war: Meine Entdecker-Idee hing mir schon wieder zum Hals heraus. Ich hatte die Reise so lange durchdacht, dass ich das Gefühl bekam, den Ring mittlerweile schon viele Male gefahren zu sein. Und so langsam sprach sich mein Reiseplan auch bei den Freunden herum.
»Also, wenn es darum geht, dich selbst zu finden, dann fahr irgendwo anders hin als aufs Land. Dort triffst du nur depressives und stockkonservatives Volk, das nichts anderes zu tun hat, als über die Fischereiquote zu jammern und abends Videos zu gucken«, sagte Stebbi, der noch mehrfach eine Rolle spielen wird.
»Aber genau das will ich
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