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Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Titel: Liebe Isländer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Huldar Breiðfjörð
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Küche ganz hinten. Die Toilette draußen und überall ringsum.
    Der Wind pfeift ums Auto, an seinem Heulen kann man hören, wie kalt es draußen ist. Die stärksten Windstöße schütteln es ein bisschen, so dass es hin und wieder ist, als liege man in einem Zug. Ichzähle bis drei und will mich aufraffen, aber ich breche ab. Am besten noch ein bisschen liegen bleiben, das Aufwachen am ersten Morgen auf der Reise noch etwas genießen. Was eilt denn?
    Seitlich an der Decke sind Netze, in die ich den Verbandskasten, Handschuhe, Schals und Landkarten hineingestopft habe. Zwischen den Vordersitzen befindet sich eine Box, die als Handschuhfach dient. Darin sind Fotoapparat, Reiseführer, Stifte und verschiedener Kleinkram. Heute Nacht fand ich heraus, dass es nicht nur angenehm ist, den Ellbogen auf dem Kasten abzustützen und die Wange beim Fahren in die Hand zu legen, dort kann man auch einen halbvollen Kaffeebecher abstellen. Es sollte sich allerdings noch herausstellen, dass es nichts bringt, einen halbvollen Kaffeebecher auf diesem Kasten zu platzieren, wenn man auf schlaglöchrigen Wegen fährt. Was für ein Ding, dieser Volvo Lappländer, Jahrgang 1981! Zwei Fliegen mit einer Klappe, mein erstes Auto, meine erste eigene Wohnung.
    Er sollte nach Libyen? Ich erinnere mich nicht, wie alt ich war, aber ich erinnere mich an die Nacht, als die Amis in Libyen einfielen und ich schlafwandelte. Das einzige Mal im Leben, soviel ich weiß. Am Morgen danach, als ich nach vorn in die Küche kam, stand Papa vor dem kleinen Radio und hörte Nachrichten. Es war noch nicht bekannt, ob Gaddafi entkommen war. Papa zeigte auf meine Bettdecke, die über einem der Küchenstühle hing: »Was macht deine Decke auf dem Stuhl?« Ich sah auf die Decke und erinnerte mich nicht daran, sie dort hingelegt zu haben. Die einzige Erklärung, die ich geben konnte, war, dass Gaddafi sie sich möglicherweise auf seiner Flucht in der Nacht geliehen hatte. Jetzt, viele Jahre später, bedankte sich vielleicht jemand, indem er mir das Auto zukommen ließ.
    Ich erinnere mich, ich erinnere mich nicht. Ich erinnere mich nicht an mehr von diesem Tag. Dem Monat. Jahr. Ich denke an diese Zeit und erinnere mich nur an kleine Details, zum Beispiel, als zu Hause ein Videogerät Einzug hielt, als ich eine Tür für mein Zimmer bekam, an das defekte Schloss am Briefkasten, die Schneewehe hinterm Haus, in die es so viel Spaß machte hineinzuspringen, an dieblaue Pickelcreme und
Joshua Tree
von U2. Ich vermute, die kleinen Dinge spielen auf irgendeine undurchsichtige Weise eine Rolle. Und hoffe, dass ich mich in einigen Jahren auch an diesen Morgen erinnern werde, an die kalte Nase, den schwachen Ölgeruch, das sanfte Licht hinter den hellen Plastikgardinen.
    Ich erinnere mich, erinnere mich nicht. Haben die Medien die Macht über das Gedächtnis übernommen? Wenn ich zurückblicke, sehe ich nur Schlagzeilen und Nachrichtenbilder. Ich sitze in einem Flugzeug in Schiphol in Amsterdam. Die Stewardess reicht mir den
Moggi
des Tages, und ich sehe, dass die Iraker Kuwait angegriffen haben. Kurz darauf sitze ich zu Hause vor dem Fernseher und sehe die Amis den Irak angreifen. Auch wenn Laxness jetzt noch nicht gestorben ist, werde ich mich zweifellos das ganze Leben lang daran erinnern, dass ich im Eyjafjörður bin, als ich die Nachricht über seinen Tod im Radio höre. Den spiegelglatten Fjord, den strahlend blauen Himmel, den Sonnenschein, den glänzenden Schnee und alles andere dieses kommenden Tages aber vergesse ich. Was bin ich? Alte Nachrichtensendungen? Vergilbte
Moggis
? Erinnere mich, erinnere mich nicht. Ich werde diese Reise dazu nutzen, Erinnerungen aufzufrischen.
    Draußen wird eine Autotür zugeschlagen, und irgendjemand ruft: »Mach voll!« Ich zähle wieder bis drei, schlage die Bettdecke zurück, steige aus dem Schlafsack und strecke mich nach den Schuhen. Zum Zubinden ist es zu kalt. Ich greife die Zahnbürste und springe aus dem Auto. Draußen ist strahlender Sonnenschein, aber Sturm und unglaubliche Kälte. Der Laster, der heute Nacht auf dem Parkplatz stand, ist abgefahren. Auf den Stellplätzen stehen einige PKW, und zwei tanken gerade. Ansonsten liegt Ruhe über allem. Ich betrete den Tankstellenshop Hyrna. Als ich die Glastür zum Speisesaal aufdrücke, trete ich mir auf die Schnürsenkel und stolpere – hinein in die Provinz.
    Niemand heißt mich willkommen!
    Ich erhebe mich und finde meinen Blick wieder in dem von Geirmundur Valtýsson. Ein

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