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Liebe ist ein Kleid aus Feuer

Titel: Liebe ist ein Kleid aus Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Ende war.
    Danach sollten sich die frommen Schwestern zum stillen Gebet in ihre Zellen zurückziehen, Rose jedoch hatte von der Priorin die Sondererlaubnis erwirkt, sich wieder im Scriptorium aufzuhalten. Zu ihrer Überraschung fand sie den Raum mit den unzähligen Pergamenten und den tintenverschmierten Pulten nicht leer vor. Gerberga hockte, über ein Pergament gebeugt, auf einem der unbequemen Schemel und schien fast in die Talgfunzel vor ihr kriechen zu wollen, um genügend Licht zu haben.
    »Das hier musst du lesen!«, sagte sie, als Rose näher kam. »Da steht alles über Maria, was du nur wissen willst.«
    »Die Mutter Gottes?«
    »Unser aller Mutter, Rose. Wir alle sind ihre Kinder.«
    »Was liest du denn da?« Rose beugte sich tiefer über das Blatt.
    »Ein Evangelium. Von Jakobus. Sehr, sehr alt.«
    »Von Jakobus? Da musst du dich irren! Ich kenne nur Matthäus, Markus, Lukas und Johannes«, sagte Rose. »Es sind vier Evangelien und vier Evangelisten, die sie geschrieben haben. So steht es in der Heiligen Schrift.«
    »Es scheint aber noch mehr davon gegeben zu haben.« Gerbergas tiefblaue Augen funkelten. »Manche sollen sogar verboten sein.«
    »Du liest verbotene Texte?« Unwillkürlich trat Rose einen Schritt zurück.
    »Natürlich nicht! Riccardis hat mir diese Pergamente gegeben, und die tut niemals etwas Verbotenes.«
    Riccardis war die Kanonissin, die erst seit einigen Wochen im Stift lebte. Rose war sie gleich aufgefallen; sie war größer als die meisten anderen frommen Schwestern, mit ungeduldigen, eckigen Bewegungen, die stets wirkten, als sei sie in Eile. Sie galt als sehr gebildet und verfügte über eine natürliche Autorität, der man sich gerne anvertraute. Es war, als sei mit ihrem Kommen ein frischer Wind in die alten Mauern eingezogen. Sie lachte gern und schien nichts dagegen zu haben, wenn man ihr schwierige Fragen stellte. Die jüngeren Frauen scharten sich nach und nach alle um sie. Nur aus Schüchternheit hatte Rose bislang nicht ihre Nähe gesucht, und weil ihr die Sehnsucht nach Eila noch immer stark zusetzte, auch jetzt, während sie die zukünftige Äbtissin gedankenvoll anblickte.
    »Du vermisst sie.« Gerberga klang plötzlich weicher als sonst. »Du denkst ständig an sie und wünschst dir, ihr wäret wieder zusammen. Deshalb kannst du auch gar nicht mehr richtig froh sein.«
    Rose nickte.
    »Wir waren zusammen seit Kindertagen«, sagte sie. »Plötzlich musste ich nicht mehr einsam sein. Eila war für mich immer die Schwester, die ich niemals hatte.«
    »Wir alle hier sind deine Schwestern.« Gerberga räusperte sich. »Jede von uns, die hier mit dir in diesen Mauern lebt. Aber natürlich nur, wenn du es auch zulässt.«
    »Was meinst du damit?«
    »Ich glaube, das weißt du selber ganz genau.«
    Rose spürte, wie sie errötete. Diese Kleine hier war einige Jahre jünger als sie – und wusste doch so viel!
    »Lass uns in dein Herz!«, fuhr Gerberga fort. »Riccardis. Bihilit. Mich. Und all die anderen. Dann wird auch dein Kummer leichter werden und eines Tages ganz verfliegen. Du brauchst hier nicht einsam zu sein. Es sei denn, du bestehst ausdrücklich darauf.«
    Rose musste mehrmals schlucken, so tief trafen sie diese Worte.
    Hatte der König seiner Nichte erzählt, was neulich geschehen war – alles? Die altbekannte Scham drohte sie abermals zu überfluten. Am liebsten wäre sie auf der Stelle weggelaufen, um in der Stille ihrer Zelle allein mit sich wieder ins Reine zu kommen.
    Aber sie blieb, wo sie war. Wegrennen war keine Lösung, sondern nur eine feige Flucht. Stattdessen holte sie einen zweiten Hocker und setzte sich neben Gerberga.
    »Wir könnten ja zusammen über das Leben Mariae lesen«, sagte sie. »Gleich jetzt. Meinst du das vielleicht?«
    Ein glucksendes Lachen war die Antwort, so zufrieden und ansteckend, dass Rose unwillkürlich lächeln musste.
    »Gleich morgen reden wir mit Riccardis«, sagte Gerberga und klang sehr geschäftig. »Niemals ist mir eine klügere Frau begegnet. Und wie gut sie alles erklären kann! Wirst sehen, sie freut sich, eine neue Schülerin zu bekommen.«

KARWOCHE 951
MAGDEBURG
    »Ich dachte schon, du kommst nie mehr!« Ida ließ Eila kaum Zeit abzusteigen und Mantel und Kleid glatt zu streichen. »Die Zeit ist mir so lang geworden ohne dich, aber jetzt bist du ja endlich da!«
    Eila verzog angestrengt die Lippen. Fünf endlose Tage im Sattel lagen hinter ihnen, mit Regen und Sturm sowie einem heftigen Schneegewitter, das sie

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