Liebe ist ein Kleid aus Feuer
nach ihm zu erkundigen, aber Gunnas stilles, stolzes Gesicht hinderte sie daran.
Lenya war es schließlich, die den Ausschlag gab, Lenya, die mit ihrem Lumpenball quer über den Burghof sauste und auf Eila einzuplappern begann, als sei niemals etwas geschehen.
»Mama und ich wollen zur Höhle«, sagte sie. »Kommst du mit? Ach, bitte!«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Eila unbehaglich.
»Ich hab nichts dagegen«, sagte Gunna, die gekommen war, um ihre Tochter wieder einzufangen. »Aber du musst dich schnell entscheiden! Wir brechen gleich auf.«
Der Himmel riss auf, und die Sonne kam heraus, als sie durch das Dorf gingen. Lenya saß in der Karre, die Gunna schob, und quietschte vor Vergnügen. Als sie vor der Höhle angelangt waren, hob Gunna sie heraus und nahm sie an der Hand. Eila übernahm wie selbstverständlich die Karre.
Gunnas Kienspan wies ihnen den Weg ins Dunkel. Sie mussten nicht weit gehen, bis sie auf Lehm stießen. Eilas Blicke glitten ehrfürchtig über die bizarren Formen, die sich über ihr auftürmten.
»Sieht aus wie ein Zauberwald«, sagte sie. »Und das dort hinten könnten wilde Tiere sein.«
»Immer noch nicht genug von deinen Einhörnern?«, sagte Gunna. »Hilf mir lieber beim Graben!« Sie gab Eila eine zweite Schaufel. »Dann geht es schneller.«
Sie arbeiteten so eifrig, dass sie zu schwitzen begannen, während sich die Karre immer mehr füllte.
»Das wird genügen.« Gunna reichte Eila einen Tonkrug, den diese durstig leerte.
»Dein Bier ist ordentlich bitter«, sagte sie, »und einen pelzigen Geschmack auf der Zunge hinterlässt es auch.«
»Das vergeht wieder«, sagte Gunna, holte Brot und ein Stück Käse hervor und legte beides auf ein ausgebreitetes Tuch. »Eine kleine Stärkung wird uns den Heimweg leichter machen.«
Lenya stopfte sich gierig viel zu große Stücke in den Mund und verschluckte sich prompt, Eila dagegen mochte nichts essen. Etwas wirbelte in ihrem Kopf und machte es gleichzeitig immer schwerer für sie, Arme und Beine zu bewegen.
»Mir ist schwindlig«, sagte sie und suchte nach einem Halt.
»Das hast du morgen schon wieder vergessen.« Gunnas Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen.
Die Wände der Höhle schienen sich plötzlich zu bewegen, weiteten sich, um sich schon im nächsten Augenblick enger um Eila zu schließen. Der Fels über ihr, neben ihr, unter ihr, war nicht länger tot. Eila sah, wie er wuchs, wie er atmete. Sie griff neben sich, hielt auf einmal ein gelbliches Knochenstück in der Hand.
»So etwas trägt dein Vater jetzt in seinem Schwertknauf«, sagte jemand. Gunna? Aber sie klang auf einmal ganz fremd. »Und dein Bräutigam tut es auch. Kein Heiligenknöchelchen. Aber etwas Altes, Mächtiges. Sie glauben an seine Kraft. Und solange sie das tun, wird es sie vermutlich wohl auch behüten.«
Gespenstisches Lachen. Eila schlang schützend die Arme um sich.
»Wo ist Lando?« Fremd und schwer rollten die Worte über ihre Zunge.
»Das fragst du ausgerechnet mich? Mich? Mich? Mich …« Das Echo wollte nicht mehr enden. »Schließ lieber deine Augen und schau! Schau! Schau…«
»Ich will raus!« Eila versuchte aufzustehen und fiel doch immer wieder zurück.
»Das will mein Sohn auch. Aber er kann es ebenso wenig wie du. Du. Du…«
Zuerst blieb alles dunkel, dann aber formten sich langsam Konturen. Jemand, der mühsam auf dem Bauch kroch, jemand, der stöhnte und ächzte … ein dunkles, blutverschmiertes Gesicht mit einer großen, offenen Wunde über dem Auge … jemand, der sich nicht mehr bewegte … der still lag, so entsetzlich still …
»Lando!«, flüsterte Eila. »Lando!« Jetzt schrie sie. »Was haben sie nur mit dir gemacht?«
KARWOCHE 951
STIFT GANDERSHEIM
Die Fußwaschung war fester Bestandteil der Abendmesse am Gründonnerstag und Rose daher vertraut. Heute jedoch war es nicht der Priester, der in der Stiftskirche diesen alten Brauch an den Ärmsten der Gemeinde vollzog, sondern Bihilit. Ihr schmaler Kopf mit dem akkurat sitzenden Schleier beugte sich tief über die Füße, die sich ihr entgegenstreckten; manche mit Spuren von Erfrierungen, manche mit alten Narben, manche so schmutzverkrustet, als wären sie seit den letzten warmen Tagen nicht mehr gewaschen worden. Einige der Armen schienen das warme Wasser und die sauberen Tücher, mit denen die Füße anschließend trocken gerieben wurden, zu genießen, andere dagegen schauten eher unbehaglich drein und waren offensichtlich froh, als das Ritual schließlich zu
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