Liebe ist keine Katastrophe
wo die Straße langsam wieder bergab verlief. Dort verkündete ein Schild: Sweetness, Georgia, Einwohnerzahl 952 .
„Da haben die Haywoods wohl Zwillinge bekommen„, sagte Porter und lachte.
Es war nur ein Scherz, denn in Wirklichkeit ging seit etlichen Jahren die Einwohnerzahl stetig zurück, weil die jüngere Generation die ländliche Gegend verließ und in weiter entfernten Städten Karriere machen wollte, besonders in Atlanta. Jedes Mal, wenn Emory in seine Heimatstadt zurückkam, hatte wieder ein Geschäft oder ein anderer kleiner Betrieb seine Tore geschlossen und immer mehr Häuser und Farmen standen zum Verkauf.
Noch ein Grund, Shelby von Sweetness wegzubringen, obwohl sie beide eine glückliche Kindheit hier verbracht hatten. Wenn sein Auslandseinsatz beendet war, wollte er in Teilzeit ans College gehen, denn falls er sich gegen eine Karriere bei der Army entschied, sah er keine großen Chancen auf einen passenden Job in Sweetness. Auf keinen Fall wollte er bei Shelbys Vater im Lebensmittelladen arbeiten.
Emory schüttelte sich.
„Alles in Ordnung, Mann?„
„Es ist nur … hierher zurückzukehren, weißt du. Gemischte Gefühle.„
„Ja, ich weiß. Ich konnte es auch nicht erwarten, von hier fortzugehen, aber irgendwas zieht mich immer wieder hierher zurück.„
Emory nickte. Er verstand genau, was sein Freund meinte.
Oberhalb der Stadt stand ein hoher weißer Wasserturm, der die Form einer aufrecht stehenden Kapsel hatte, mit der Begrüßung „Willkommen in Sweetness„. Jemand hatte in großen roten Buchstaben „I love Pam„ darüber gesprüht. Emory lächelte. Auch er hatte ein oder zwei Mal seine Gefühle für Shelby in Form von Graffiti dort hinterlassen. Viele der Jungen aus dem Ort hatten schon mutig diesen Aufstieg gewagt. Einmal im Jahr beauftragte der Bürgermeister ein paar Maler, die die Oberfläche wieder weiß strichen und den Begrüßungstext nachmalten, und dann begann das Ganze wieder von vorn.
Wenn sie jetzt immer weiter geradeaus fuhren, führte die Straße bis ins Stadtzentrum, aber Emory bog in eine schmalere Seitenstraße ab, die weiter nach oben verlief, nach Clover Ridge, wo sie aufgewachsen waren. Dieser runde Bergrücken bestand hauptsächlich aus Feldern, zwischen denen ab und zu ein Haus oder ein kleiner Laden wie Dotties Haarsalon oder Mikes Autowerkstatt stand. Hier kannte er die Gegend wie seine Westentasche – jedes Loch, jeden kaputten Zaunpfahl, sogar jeden bellenden Hund.
Ein paar Minuten später hielt er vor dem Haus der Armstrongs und ließ seinen Freund aussteigen. Porter holte seine Reisetasche vom Rücksitz und grinste ihn dann durch das geöffnete Fenster an.
„Also sag mir jetzt endlich, was du dir für deinen Antrag überlegt hast.„
Emory schaute unfreundlich zurück. „Nichts.„
Porter lachte. „Hoffentlich fällt dir doch noch was ein, bis es so weit ist.„ Er streckte die Hand aus und Emory schüttelte sie. „Und danke fürs Mitnehmen, Mann. Viel Glück.„
Emory sah zu, wie sein Freund die Stufen zu seinem Zuhause hochsprang, und lächelte in sich hinein. Porter war ein guter Mann, genau wie seine Brüder. Emory hatte Glück gehabt, mit ihnen aufwachsen zu können. Er selbst hatte keine Geschwister, darum hatte er genauso viel Zeit im Haus der Armstrongs verbracht wie in seinem eigenen.
Als er sich dem Haus näherte, in dem er groß geworden war, fuhr er langsamer und warf einen liebevollen Blick darauf. Sein Dad hatte offenbar die Verkleidung frisch gestrichen und einen neuen Obstbaum neben den Eingang gepflanzt. Etwas später, nach einem kleinen Umweg, würde Emory bei der Praxis von Maxwell senior vorbeischauen und ihm Guten Tag sagen.
Aber erst einmal fuhr er weiter den Bergrücken hinauf und parkte am Straßenrand neben dem Friedhof von Clover Ridge. Er nahm den Blumenstrauß, den er unterwegs an einer Tankstelle gekauft hatte, dann trat er durch den bogenförmigen Eingang. Zwischen den gepflegten Gräbern ging er hindurch bis zum Familiengrab der Maxwells. Auf dem Grabstein seiner Mutter stand „Belinda Maxwell, geliebte Ehefrau und Mutter„. Wie wahr .
Er nahm seine Kappe ab und legte den Blumenstrauß auf ihr Grab. Im Geiste sah er ihr liebes Gesicht vor sich. Als er noch in Sweetness gelebt hatte, war er oft hierhergekommen und hatte zu ihrem Grabstein gesprochen, so wie jetzt. „Ich bin wieder zu Hause, Mom. Nur für ein paar Tage, aber es ist schön, Urlaub zu haben.„ Er lächelte. „Das Haus sieht nett aus,
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