Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
Ohnmacht. Anscheinend ist er der »Royal Flush« unter den Männern vor Ort. Das wichtigste Merkmal dieses Arztes ist offenbar seine Ähnlichkeit mit dem Helden in einem europäischen Roman – dunkle Haare, die ihm bis auf den Kragen fallen, meerblaue Augen und ein strahlendes Lächeln, das alle Patienten sofort gesund werden lässt.
Grandma hat gehört, dass dieser Dr. Christopher vom Klinikpersonal sehr geschätzt wird. Meine Mom hat ihn bei einer Wohltätigkeitsmodenschau kennengelernt, als er gerade erst in die Stadt gezogen war. »Du hättest sehen sollen, wie sich diese erwachsenen Frauen darum gedrängt haben, den Fellmantel zu berühren, den er vorgeführt hat. Es war mir richtig peinlich«, sagte Mom. Mir ist eher der Gedanke an einen Mann im Fellmantel peinlich, bis Mom erklärt, dass der Erlös der Veranstaltung der Behandlung bedürftiger Patienten zugutekommt. Der Doktor nimmt regelmäßig an solchen Ereignissen teil.
Diese Information macht mich neugierig.
Laut den Frauen im Ort sind Dr. Christophers Fähigkeiten als Chirurg mindestens so beeindruckend wie sein gutes Aussehen. Während einer Wohltätigkeitsauktion erzählt mir Mrs Chapman – eine der am meisten aufgetakelten Frauen im Ort –, dass Dr. Christopher »ästhetische Gesichtsmedizin« macht. Nicht nur ihre Augen, sondern auch die Bügel ihrer Prada-Brille funkeln, als Mrs Chapman mir erklärt, dass Dr. Christophers Spezialgebiet ein Mittelding zwischen oraler und plastischer Chirurgie ist. Angeblich hat er einen Haufen internationaler Auszeichnungen, ist aber auch ein Herzensbrecher. Mrs Chapman blickt über ihre Brille und zeigt mit ihrem manikürten Finger auf mich. »Was Dr. Oz gegen das Altern vermag und Dr. Drew für Beziehungen, kann Dr. Christopher für dein Gesicht tun.« Sie zwinkert mir zu und wechselt das Thema, und mir wird bewusst, dass ihre Lippen für eine Fünfundsechzigjährige tatsächlich sehr prall aussehen.
Mrs Chapman ist nicht die einzige Patientin, die Dr. Christopher anschmachtet. Eines Abends erzählt mir meine Cousine Tricia beim Abendessen mit Grandma, dass sie zu Dr. Christopher, als sie bei ihm in Behandlung war, gesagt hat, sie wolle ihn heiraten. Ihrer Erinnerung nach hat er nur leise gelacht und seinen Assistentinnen gesagt, sie sollten bitte dafür sorgen, dass sie so bequem wie möglich liegt. Tricia sagt, er erinnere sie an Grandpa. Er ist so intelligent, dass er nicht weiß, wie gut er aussieht. Grandma hört uns aufmerksam zu, in der Hoffnung, dass wir noch mehr sagen, was die Erinnerung an Grandpa lebendig hält.
Aber mich machen die Bemerkungen all dieser Frauen über Doc Hollywood nur skeptisch. Dieser Mann ist Schönheitschirurg in der Kleinstadt, und die Frauen fallen wegen ihm reihenweise in Ohnmacht. Wie viel Herz kann er schon haben? Und gerade als ich zweifelnd die Nase krausziehen will, wirft meine Mutter die Karte für Spiritualität in die Waagschale. Anscheinend geht der Arzt jede Woche in die Kirche (wenn auch niemand zu wissen scheint, wo). Und Dr. Christopher macht Yoga. »Krissy, du doch auch!«, ruft meine Mutter aus. »Und du gehst in die Kirche. Das passt doch perfekt!« Offensichtlich achtet er also nicht nur auf seine physische Gesundheit, sondern hält auch seine emotionale Seite im Gleichgewicht. Jetzt gerate ich langsam ins Schwanken. Könnte das tatsächlich der perfekte Mann sein?
Andererseits, warum ist der Kerl noch nicht verheiratet? Ist er schwul? Hat er Bindungsangst? Ist er ein Spieler? Das Geheimnis verfolgt mich, und langsam hoffe ich schon selber, ihm im Bio-Gang des Lebensmittelladens oder im Fitnessstudio zu begegnen. Ehe ich ihn nicht kennengelernt habe, kann ich ihn nicht beurteilen. Und als schließlich die vierte Freundin von Mom »Dr. Christopher« erwähnt, bin ich bereit, ihn mir anzuschauen.
Ich greife auf meine eigene Spiritualität zurück. An einem heißen Junitag sitze ich in der Messe, lege andächtig meine Stirn in die Hände und bete darum, dass Gott mich nie mehr so leiden lässt, dass ich in einem fremden Land leben muss, wenn ich diesen Mann in Betracht ziehe. Nach der Kirche besuche ich Grandpas Grab. Der Grabstein ist zwar für mich etwas Besonderes, aber er fällt unter den anderen Steinen gar nicht auf. Mein Großvater wollte etwas Schlichtes und wir etwas Elegantes, und deshalb haben wir uns für einen polierten schwarzen Stein entschieden, einen halben Meter hoch und einen Meter breit, auf dem hinten GASBARRE zu lesen ist. Vorne
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