Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
nicht zu Mädchen hingezogen fühlte, gab er mir immer das Gefühl, so unsäglich kostbar wie ein Kronjuwel zu sein. Noch mehr als zehn Jahre nach unserem Examen weiß ich eines ganz genau: Jede Frau braucht einen Mann wie Kenneth in ihrem Leben. Seine Familie hat ihn mehr oder weniger im Stich gelassen, und doch gilt Kenneths einzige Sorge dem Wohlergehen seiner Mitmenschen, so selbstlos und edel ist er. Und ich, ich fühle mich alleine und bin verwirrt, obwohl meine Familie so intakt und fest miteinander verbunden ist?
Kenneth geht herum und versorgt alle Gäste mit Richard Nixons Champagner, wie er sagt. Dann schlägt er leicht mit einer Gabel gegen sein Glas. »Ich möchte euch alle an diesem Silvesterabend im Jahr 2009 willkommen heißen und bitte euch jetzt in den Salon, wo uns eine Partie Schrottwichteln erwartet.« Wir jubeln wie die Fünftklässler, die gerade einen schmutzigen Witz begriffen haben, als wir die anrüchigen Geschenke auspacken. Um Mitternacht werfen wir Konfetti und Luftschlangen durch Kenneths Küche, und während über den Fernsehschirm Bilder von den Feuerwerken in Sydney, Paris und Hongkong flimmern, überkommt mich ein merkwürdiges Gefühl: Ich bin in diesem Moment ganz hier. Und als Ryan Seacrest verkündet, dass es jetzt in New York Mitternacht ist, da wünsche ich mir niemanden hierher, der nicht da ist. Auf dem Bildschirm leuchten die Anzeigetafeln am Times Square auf, und um mich herum lachen die Leute und fallen sich gegenseitig in die Arme. Es gibt keinen Grund, warum ich mit meinem Leben nicht völlig zufrieden sein sollte. Meine Freunde, meine Arbeit, meine Familie, meine Interessen – das alles ist mehr als genug für ein glückliches Leben. Im Stillen gelobe ich mir, dieses Jahr Spaß zu haben und mir nicht mehr ständig Gedanken darüber zu machen, dass ich mich alleine unvollständig fühle. Ich spreche ein Gebet für Grandma, die heute Abend mit Freunden zu Abend essen und früh zu Bett gehen wollte.
Um mich herum umarmen sich alle und blasen in Plastiktröten und strahlen vor Glück. Es ist an der Zeit, wieder Freude zu empfinden an den Menschen, mit denen ich mein Leben teile. Ich bin vollkommen und lebendig. Ich habe zwar keine Beziehung, aber ich werde geliebt … und vor allem bin ich in der Lage, andere zu lieben.
Der Januar vergeht wie im Flug. Ich fahre nach Cleveland, um Freunde aus dem College zu besuchen, und nach Upstate, New York, um mich mit Emma, meiner besten Freundin seit Kindergartentagen, zu treffen. Möglicherweise sehe ich sie zum letzten Mal, wie ich sie kenne; sie und ihr Mann haben beschlossen, dass sie dieses Jahr ein Baby wollen. Aber trotz all der Besuche bei alten Freunden stelle ich fest, dass in einer emotionalen Phase häufig eine einzelne Freundin am besten eine bestimmte Sehnsucht erfüllt … im Moment ist das bei mir Celeste. Von ihr fühle ich mich besser verstanden als von jedem anderen.
Celeste hat ihren Kindermädchen-Vertrag in Italien beendet und wohnt seit Oktober wieder bei ihren Eltern in Ohio. Da wir beide die gleiche Erfahrung gemacht haben, möchten wir unbedingt ein bisschen Zeit miteinander verbringen. Sie nimmt die dreistündige Fahrt auf sich, um mich am Valentinswochenende zu besuchen, und am Samstag schauen wir rasch bei Grandma vorbei. Grandma lacht sich kaputt über unsere Geschichten von unserer Zeit in Italien. Ich spüre, dass dieser Besuch mit meiner besten Freundin aus dem College die Antwort auf Grandmas stumme Bitte um Gesellschaft war. Sie schaltet das Licht an, als sie vom Wohnzimmer in die Küche geht, und mir wird klar, dass sie im Dunkeln gesessen hat, bevor wir kamen.
»Nehmt euch von diesem Erdnuss-Konfekt«, sagt sie und weist auf die Pralinenschachtel, die Celeste und ich ihr mitgebracht haben. Wir beugen uns über Grandmas Kücheninsel, und sie setzt sich an den Küchentisch, um den übergroßen goldenen Umschlag zu öffnen, den wir ihr überreicht haben. Sie schlägt die Karte auf und erzählt uns etwas über den heiligen Valentin, der der Legende nach ein Heiler war und der wegen seines Glaubens an Gott ins Gefängnis geworfen und gefoltert wurde. Valentin hielt sich auch nicht an das römische Gesetz, nach dem die Bürger nicht heiraten durften, weil verheiratete Männer schlechte Soldaten waren, und er hielt insgeheim Hochzeitszeremonien ab für die Paare, die ihr Leben zusammen verbringen wollten. Asterius, der Valentins Zelle bewachte, wollte unbedingt, dass Valentin seiner blinden Tochter
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