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Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge

Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge

Titel: Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Gasbarre
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Enkeltöchtern angeschaut.
    Auf den Fotos ist sie klassisch feminin gekleidet, in einem langen Mantel, darunter trug sie ein Kleid (die Farbe konnte man nicht erkennen, weil es ein Schwarzweißfoto war, aber sie erinnerte sich, dass das Kleid marineblau gewesen war). Ich muss daran denken, was sie wohl unter dem Kleid getragen hat: weiße Seide und Spitze, ein Satinhöschen. Sie blickt in die Kamera und steht ganz lässig da. Sie strahlt eine zarte, aber bewusste Sinnlichkeit aus.
    Grandpa trägt auf diesen Fotos eine Hose mit Bügelfalte, ein weißes Hemd mit aufgerollten Ärmeln und eine Krawatte – eine Krawatte auf seiner Hochzeitsreise! Hinter ihm schlängelt sich der Tennessee Highway bis hinauf in die bewaldeten Berge, und er lehnt am hölzernen Geländer wie ein Model … nur Grandpa bringt es fertig, dass Tennessee so unwiderstehlich aussieht. Seine Pose ist der Inbegriff der Männlichkeit zu dieser Zeit: stark, hinreißend, attraktiv … mit der Fähigkeit, selbst in der schlichtesten Umgebung Liebe auszustrahlen.
    Anscheinend lag damals die Romantik im Alltäglichen. Ich stelle mir vor, wie sich Paare langsam zu den Klängen aus einem Grammophon wiegen, nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht haben; das Klimpern der Eiswürfel im Scotch-Glas eines Mannes, während er seiner Frau zusieht, die nach einem langen Tag die Haare löst. Mir gefällt der Gedanke, dass die Männer ihre Männlichkeit mit ihrem Charakter bewiesen statt mit ihrem Einkommen, und die Frauen gingen nicht so weit, wie ich dies in der Vergangenheit getan habe, um Männer auf sich aufmerksam zu machen. Allerdings habe ich das auch schon lange nicht mehr gemacht … und bei Chris sowieso noch nie.
    Seine Aufmerksamkeit kann man sowieso nicht erringen, sie ist einfach da. Auf eine altmodische Art und Weise verwandelt sich die wachsende Vertrautheit zwischen uns langsam in Zuneigung; Chris ist sanft und stark zugleich … wie mein Grandpa. Natürlich spielt sein gutes Aussehen eine Rolle, aber je besser man ihn kennenlernt, desto anziehender wird er. Ich hatte Angst vor ihm, weil er eine Herausforderung darstellt: Er ist nicht der »Bad Boy«, der nach Zigaretten und Bier schmeckt, wenn ich ihn in einer Bar küsse; er ist niemand, der sich mit einer Frau abgeben würde, die sich beim ersten Date betrinkt. Er hält sich fern von sittlichen Ausschweifungen und stellt bei den Menschen, mit denen er sich umgibt, hohe Anforderungen an Verhalten und Charakter, und er findet Schönheit im Alltäglichen, sowohl bei einem nächtlichen Schwimmen im See als auch in den Augen einer alten Frau. Er ist vielschichtig, aber im Grunde genommen einfach zu verstehen.
    Wenn ich damit beginnen würde, bei einem Mann nach dem wirklich Wichtigen Ausschau zu halten, nach Integrität und Verlässlichkeit … dann würde vielleicht auch ich eine dauerhafte Liebe finden, wie sie meiner Großmutter vergönnt war.
    Endlich bin ich bereit, die Frau in einer Beziehung zu sein. Bis jetzt hat mir die Gabe hierfür gefehlt. Ich weiß noch, wie ich Grandma erzählt habe, dass ich mich bei meiner Verabredung mit einem neunundzwanzigjährigen Geschäftsführer so betrunken habe, dass sogar meine Freundin mir einen Vortrag darüber gehalten hat, wie ich mich vor Männern zu benehmen hätte. »Du hast sein Bild von dir ruiniert«, sagte Grandma, und ich konnte ihr nur zustimmen. Sie erzählte mir, dass sie bei Verabredungen mit Grandpa höchstens ein Glas Wein in seiner Gegenwart getrunken hätte – aber damals galten Frauen, die sich in Anwesenheit von Männern betranken, sowieso als »leichte Mädchen«. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich schon in Gegenwart von Männern betrunken war; ich glaube, nüchtern habe ich das letzte Mal in der Highschool einen ersten Kuss bekommen. Was sagt uns das über mich? Ohne Alkohol habe ich viel zu viel Angst, mich auf jemanden einzulassen. Hätte ich nur etwas mit Männern angefangen, die mir Respekt entgegenbrachten, hätte ich mir viel Liebeskummer erspart. In einigen Fällen ist es wahrscheinlich das Beste, dass ich mich kaum noch daran erinnern kann.
    Je näher ich meiner Großmutter kam und je besser ich sie kennenlernte, umso klarer wurde mir, dass mir die typisch weiblichen Umgangsformen, die ich schon verloren glaubte, im Blut liegen. Eine Frau muss dazu imstande sein, einem anderen Menschen zu erlauben, sie zu umsorgen – und die gute Nachricht ist, dass es das noch gibt. Ich habe Liebe verdient. Mehr musste ich nicht

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