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Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge

Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge

Titel: Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Gasbarre
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der Hunde, als ich die Treppe hinaufhusche. Moms Standuhr schlägt Mitternacht. Chris und ich müssen morgen früh raus. Ich werde die Abschiedsgeschenke einkaufen, die er seinen Angestellten geben will, und ich weiß jetzt schon, dass die Verkäuferinnen mich neugierig mustern und sich fragen werden, was ich für Dr. Christopher bin, wenn ich beim Chocolatier, im Grußkarten-Shop und im Café, wo ich das Mittagessen für das Personal hole, seine Kreditkarte über die Theke reiche.
    Ich erinnere mich daran, dass ich zu Grandma gesagt habe, er bräuchte eine Ehefrau. Ich bin dazu geschaffen, die Rolle der Person zu spielen, die sich um dich kümmert, möchte ich ihm am liebsten sagen. Seit wir einander begegnet sind, haben wir Türen im Leben des anderen geöffnet … Warum lassen wir einander also nicht ein?

10
    Liebe durch bloße Existenz
    Eines Nachmittags Anfang März rief Grandma mich voller Panik an. Sie hatte einen Schwindelanfall gehabt, und sie war in der Diele ohnmächtig geworden; irgendwie war es ihr jedoch gelungen, nicht hinzufallen. »Ich habe gerade beim Arzt angerufen, und sie meinen, ich hätte vielleicht einen kleinen Schlaganfall gehabt«, sagte sie zu mir. »Kannst du kommen und mich in die Praxis fahren?«
    Zu Hause war gerade kein Auto, deshalb rief ich meinen Bruder an und bat ihn, von der Arbeit zu kommen und mich in die Stadt zu fahren. Ich saß während der Fahrt still auf dem Beifahrersitz, damit er sich auf die glatten Straßen konzentrieren konnte – der Winter hatte zum letzten Mal in diesem Jahr zugeschlagen, und der Himmel war so bleigrau wie der Schneematsch am Straßenrand. Ich hatte die Schläfe an die kalte Scheibe gepresst und spürte die gleiche Angst in mir aufsteigen wie damals auf dem Heimflug, als Grandpa im Sterben lag.
    Als die Schwester am Empfang Grandma und mich aus dem Wartezimmer rief, verhielten sich die Krankenschwestern nicht sehr fürsorglich. Eine schob Grandma ein riesiges Thermometer mit einer Spiralschnur unter die Zunge und blickte gelangweilt zur Decke, während eine andere eine Blutdruckmanschette um Grandmas Arm legte. »Das ist kalt!«, sagte sie so erschreckt wie ein Kind, das den Fuß in zu heißes Badewasser steckt. Es verblüffte mich, wie wenig die Schwestern sich um das Wohlergehen meiner Großmutter kümmerten. Es war doch egal, ob sie schon zum dritten Mal innerhalb eines Monats in der Praxis war: Sie hatte Angst, und ich sah ihr an, dass die Ungeduld des Personals sie noch mehr durcheinanderbrachte. Am liebsten hätte ich Chris eine SMS geschickt und ihn gebeten herzukommen, damit die Krankenschwestern freundlicher ihr gegenüber wären. Natürlich schrieb ich ihm nicht, weil ich ihn nie bei der Arbeit störte, ich konnte mir jedoch vorstellen, wie sich ihr Benehmen schlagartig ändern würde, wenn er auf einmal auftauchte. Aber ich musste mich damit begnügen, selbst Anwalt meiner Großmutter zu sein, schließlich gehört es zum Job einer Krankenschwester, sensibel auf die Patienten einzugehen.
    Die eine Schwester zog ihr Stethoskop aus den Ohren und löste die Blutdruckmanschette von Grandmas Arm. Sie meinte, Grandmas Blutdruck sei zu hoch – zwar nicht viel, aber sie wisse nicht, warum. Deshalb hätte der Arzt schon vor unserer Ankunft entschieden, dass er sie komplett untersuchen wolle.
    Sie reichte uns ein blaues Krankenhaushemdchen mit Bändern am Rücken; genauso eines hatte Grandpa in Florida vor seiner Herzoperation getragen. »Es wird ein bisschen luftig im Rücken, Mrs Gasbarre«, sagte sie zu Grandma. »Vielleicht kann Ihre Enkelin Ihnen helfen, es zuzubinden.«
    »Was soll sie alles ausziehen?«, fragte ich, als sich die beiden Schwestern zum Gehen wandten.
    »Alles. Sie bekommt heute das komplette Programm«, antwortete die eine Schwester. »Und aus den Unterlagen geht hervor, dass der letzte Abstrich fünf Jahre her ist, deshalb werden wir das heute auch erledigen.«
    »Grundgütiger Himmel«, flüsterte Grandma.
    Die schwere Holztür fiel mit einem solchen Krach ins Schloss, dass Grandma und ich zusammenzuckten.
    »Es ist kalt hier drin, nicht wahr?«, fragte sie.
    Das Neonlicht leuchtete die Falten um ihre Augen unbarmherzig aus. »Ja, es ist ziemlich kalt.« Die sterile Atmosphäre des Raums machte ihn zu dem letzten Ort, an dem sich eine Frau gerne ihrer Kleidung entledigte.
    Grandma seufzte laut und knöpfte ihre kleine, pinkfarbene Strickjacke auf. Vorsichtig faltete ich den hellblauen Krankenhauskittel auseinander, um ihr

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