Liebe ist stärker als der Tod
dem Bois de Boulogne kommt, sondern aus der Rue Princesse. Es entwickelt sich dann immer ein medizinisches Wunder: Eine Krankheit ist plötzlich nicht mehr so tragisch. Er hatte es ein paarmal erlebt, bei Nachbarn und Bekannten. Bevor man von häuslichen Pillen und Tabletten zu dem begehrten, knappen Krankenhausbett überwechselte, war es meistens schon zu spät. Umweltforscher nennen das satanisch die natürliche Auslese.
»Wollen Sie den Hund mit zu dem Herrn Professor nehmen?« fragte Doktor Andrès entsetzt, als Pierre sich zum Gehen wegdrehte.
»Was bleibt mir anderes übrig? Soll Bouillon das ganze Hôpital Laennec terrorisieren?«
»Wo haben Sie bloß diesen Hund her?« fragte Doktor Andrès mit deutlichem Widerwillen.
»Aus der Gosse, Doktor.« Pierre streichelte mit dem Kinn Bouillons stacheligen Kopf. »Er saß im Regen und wärmte sich über einem Luftschacht. Zwischen uns war sofort so etwas wie eine Seelenfreundschaft. Verstehen Sie das?«
»Ich versuche es, Monsieur.« Doktor Andrès verzichtete auf weitere Gespräche. Privatpatienten! Was man da alles erlebt. Herren mit Rang und Namen, die glauben, mit der Bezahlung der Intensivpflege auch die Schwestern gekauft zu haben, und Damen der Gesellschaft, die hysterisch wurden, wenn der blendend aussehende algerische Stationsarzt Doktor Mahmoud Abbrat ins Zimmer kam. Da war ein abgrundhäßlicher Hund, der Bouillon hieß, noch halbwegs erträglich.
Professor Doktor Mauron wartete in einem Zimmer, das – entgegen vieler Mutmaßungen und trotz seines auf drei Millionen Francs jährlich geschätzten Einkommens – nicht ein großer Raum mit Mahagonivertäfelung und Lederfauteuils war, sondern ein schlichtes Arbeitszimmer mit Regalen voller Bücher, zwei Tischen voller Fachblätter und Akten und drei ziemlich alten Stühlen mit abgewetzten Ledersitzen. An der Wand hinter dem Schreibtisch hingen fünf Fotos seiner verehrten Lehrer, würdige, ernst blickende Männer, die der Medizin bestimmt viel Neues beschert hatten. Dazu gehörte auch Professor Mauron. Er genoß den Ruf, ein hervorragender Gynäkologe und Operateur zu sein. Im Privatleben war er ein anerkannter Gourmet und Kunde von Callac. Eine höhere Rangstufe in der Pariser Gesellschaft gibt es nicht.
Mauron erhob sich höflich, als Pierre, Bouillon noch immer auf dem Arm, eintrat. Die Sekretärin im Vorzimmer hatte sofort darauf verzichtet, zu protestieren, als der häßlichste Hund von Paris seinen Kopf zu ihr drehte und sie unwiderstehlich anschielte.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Professor Mauron fröhlich, ehe Pierre sich entschuldigen konnte. »Doktor Andrès hat mir am Telefon alles erzählt.«
»Ich weiß nicht, wie ich Bouillon anders beruhigen soll.« Pierre hielt beide Hände über den Hund, der an seiner Schulter klebte. »Es ist mir peinlich, glauben Sie es mir, Herr Professor. Und es wird noch mehr Peinliches zwischen uns zur Sprache kommen. Aber Ev liegt im Krankenhaus, ich war plötzlich in diesem fremden Haus … wer weiß, was in so einem Hundekopf vor sich geht?«
»Seit ich Hunde liebe, verstehe ich Menschen, hat einmal ein Philosoph gesagt. Wer, das weiß ich nicht. Bitte, setzen Sie sich, Monsieur.« Mauron zeigte auf einen der alten Lederstühle. Seine Freundlichkeit entwaffnete Pierre. Er hatte sich vorgenommen, sofort mit allen Wahrheiten herauszurücken … Maurons Art, die Dinge so zu vereinfachen, lähmte nun auch seine krampfhafte Forschheit.
»Waren Sie schon bei der Verwaltung?«
»Nein, Herr Professor.«
Aha! Jetzt geht es los. Erst ein Streicheln, dann der Boxhieb. Pierre schob Bouillon auf seinen Schoß und atmete tief durch. Professor Mauron betrachtete voll Interesse den Hund.
»Diese Mischung ist geradezu phänomenal!« sagte er.
»Ich wollte nachher zur Verwaltung«, sagte Pierre mit trockener Kehle.
»Da ist etwas Merkwürdiges passiert, darum ließ ich Sie bitten, Monsieur.« Mauron lehnte sich zurück. »Zunächst zu dem Patienten. Der Abortus spontaneus ist komplikationslos verlaufen. Einige Hämatome als Folge dieser … dieser Mißhandlung werden keine Rückwirkungen haben. Befürchtungen über eine spätere Beeinträchtigung der Empfängnis sind unbegründet. Mademoiselle Bader hat großes Glück gehabt.«
»Ich danke Ihnen, Herr Professor«, sagte Pierre leise.
»In zwei Wochen können wir Mademoiselle entlassen.«
»In zwei Wochen …«
»Die müssen wir ihr schon gönnen.« Mauron lächelte verbindlich.
Er versteht mich falsch, dachte
Weitere Kostenlose Bücher