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Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gehalten, daß Doktor Andrès das Wort Scheiße aussprechen konnte. Eine Putzfrau hatte bereits versucht, mit einem Besenstiel den häßlichsten Hund von Paris zu vertreiben, aber Bouillon reagierte darauf mit einem solchen Knurren und einem derart schielenden Blick, daß die Putzfrau, eine brave Mutter von vier Kindern aus dem Montparnasse, sich vorsichtig zurückzog und zu Oberschwester Amélie sagte: »Ich habe an eine Familie zu denken, infirmière …«
    »Sind Sie der Besitzer dieses Viehs?« schrie Doktor Andrès an der Wand. Das Lachen aus Evs Zimmer wurde zerhackt, als Pierre die Tür zuwarf. »Das wird Sie eine Menge Geld kosten.«
    Geld! Pierre setzte ein schiefes Lächeln auf. »Mit Geld können Sie mich nicht schrecken, Doktor –«, sagte er aus tiefster Überzeugung. »Nicht mehr. Sagen Sie tausend, zweitausend, zehntausend Francs Schmerzensgeld … es bleibt sich gleich.«
    Wer nichts hat, kann großzügig sein, dachte er. Es wird alles über mir zusammenschlagen wie eine riesige Woge, und ich werde erdrückt und ersaufe. Ein Zimmer I. Klasse bei Professor Mauron, die Arztkosten, die Medikamente, jetzt auch noch Doktor Andrès mit einem neuen Cardin-Anzug und einem Biß im Schienbein – lieber, kleiner Bouillon, ausgesetzte, arme Kreatur, ich könnte auch die ganze Welt beißen …
    »Komm her –«, sagte er fast zärtlich. »Bouillon, komm her. Laß den Onkel Doktor in Ruhe. Sei ein lieber Hund …«
    »Bouillon heißt er auch noch?« sagte Doktor Andrès sichtlich erschüttert. Er konnte sich wieder rühren, weil der häßlichste Hund von Paris brav und mit seinem Peitschenschwänzchen wedelnd über den langen Flur trabte, die zurückweichenden Schwestern liebevoll anblickte und die Putzfrau mit ihrem Besenstiel ignorierte. »Da haben Sie eine versalzene Suppe an der Leine, Monsieur!«
    Der alte Doktor Andrès fand sich wieder. Es zeigte sich, daß Bouillon tatsächlich in das Schienbein gehackt hatte, anscheinend noch voller triumphaler Erinnerung an die nächtliche Schlacht mit den Rockern. Doktor Andrès humpelte in das Arztzimmer, schrie wieder nach einer Tetanusspritze, und Schwester Amélie rannte davon, um Professor Maurons liebsten Assistenzarzt vor einem Starrkrampf zu bewahren.
    Mit einem Anlauf stieß sich Bouillon ab und sprang in die Arme Pierres. Dort legte er seine feuchte Schnauze auf Pierres Schulter und schnaufte zufrieden.
    Die anderen Schwestern der Station P II standen unschlüssig herum. Privatpatienten sind das Problem jeder Klinik. In der III. Klasse kann man brüllen: »Das Saubiest 'raus!« In der I. Klasse kann man höchstens sagen: »Ein süßes Hündchen, Madame. Aber der Herr Professor läßt bitten, daß Tiere – wegen der Hygiene, nur deswegen – nicht mehr auf die Station kommen.« Und selbst dann hat man oft schon zuviel gesagt.
    »Er schielt«, sagte Pierre glücklich. »Sehen Sie sich ihn an, Schwestern … er schielt. Er ist rundherum zufrieden. Ich bitte im Namen von Bouillon um Verzeihung.«
    Das ist auch alles, was ich kann, dachte er. Spätestens übermorgen wird man Ev aus dem schönen Zimmer wegrollen in einen der Krankensäle. Und dann wird Bouillon, sollte er jemals wieder im Hôpital Laennec erscheinen, mit Fußtritten hinausgejagt werden. Wie wir, Ev … Armut ist in unserer heutigen Gesellschaft kein Zustand, sondern ein Makel. Wie Aussatz ist sie. Seht ihn an, geht ihm aus dem Weg: Er ist arm! Wer fragt schon, wen interessiert es, warum man so elend auf der Schnauze liegt?
    Doktor Andrès kam wieder aus seinem Arztzimmer. Er hatte seine Tetanus bekommen und war etwas bleich im Gesicht. Wie viele Ärzte konnte er bei anderen jeden nur erdenklichen Eingriff vornehmen, aber ein Einstich in den eigenen Körper liegt an der Grenze des Erträglichen. Und wenn Ärzte an ihren Kollegen, den Zahnarzt, denken, steht ihnen mehr der kalte Schweiß auf der Stirn als einem frisch Kollabierenden.
    »Ich war auf dem Weg zu Ihnen«, sagte er zu Pierre.
    Bouillon knurrte leise und schielte fürchterlich. Doktor Andrès hielt zwei Meter Abstand. Mehr als seine Bißwunde lastete die Zerstörung des Cardin-Anzuges auf ihm. Er hatte bereits einen Fahrer der Klinik in seine Wohnung geschickt, um einen neuen Anzug zu holen.
    »Zu mir?« fragte Pierre und streichelte Bouillons zuckenden Rücken. »Warum?«
    »Der Herr Professor möchte mit Ihnen sprechen, Monsieur.«
    »Ach so.«
    Nun ist es soweit, dachte Pierre. Jetzt muß man erklären, daß man nicht aus Neuilly oder

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