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Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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neunziger Jahren empor. Balkons mit verschnörkelten Stützen. Eine Fassade mit hohen Fenstern und Zierstürzen. Ein Dachfries mit Edelstuck … Fabelwesen weiblichen Geschlechts starrten aus hohlen Augen auf die Straße herunter. Sie sahen traurig aus, denn auf ihren Schultern ruhte das behäbige Dach.
    »Es wurde 1943 ausgebombt«, sagte Ev, weil Pierre außer »Schön« nichts mehr von sich gab. »Papa hat es aufbauen lassen, wie es früher war. Er liebt die Tradition.« Und als Pierre noch immer schwieg, sagte sie, ahnend, wo der Grund seiner Einsilbigkeit lag: »Wie ihr Franzosen! Ihr seid auch stolz auf eure glorreichen vergangenen Jahrhunderte …«
    »Gehen wir hinein.« Pierre blickte auf die schwere, geschnitzte Eingangstür. »Habt ihr auch eine Concierge wie Madame Coco?«
    »Bei uns gibt es so etwas nicht.«
    »Schade.« Pierre hakte sich bei Ev unter. »Da fehlt den Deutschen ein wichtiges Stück Menschlichkeit –«
    Zwei Minuten später war alles anders.
    Else Bader drückte ihre Tochter an sich und begann zu weinen, was Müttern aller Rassen eigen ist, sagte immer wieder: »Gut siehst du aus, Eva, gut siehst du aus!«, obgleich Ev noch die Krankenhausblässe im Gesicht trug (was beweist, wie wertvoll ein gutes Make-up ist), und dann gab sie Pierre de Sangries die Hand, der sie formvollendet an die Lippen zog und sagte:
    »Es ist mir eine Ehre, Madame.«
    Else Bader verstand nur Madame, aber wie Pierre dieses Madame aussprach, war es bereits ein Gipfel in Deutschlands seltener Galanterie. Ev dolmetschte.
    »Er freut sich, Mama.«
    »Kann er nur Französisch?«
    »Leider. Ein paar Worte Deutsch habe ich ihm schon beigebracht … in einem Jahr wird es besser gehn.«
    »In einem Jahr? Ihr wollt heiraten?«
    »Darüber werden wir zusammen mit Papa sprechen. Wir haben ja so viel Zeit dazu.«
    Wie üblich wurde Pierre zunächst die Wohnung gezeigt. Das Wohnzimmer, Huberts Arbeitszimmer, das Speisezimmer, die Küche, Evs Zimmer, das Fremdenzimmer, sogar die beiden Toiletten. Das Elternschlafzimmer sparte man aus … dieser Intimbereich gehörte Hubert und Else ganz allein. Eine runde, schöne, bürgerliche Welt mit schweren Möbeln, dicken Sesseln, Gittertüll-Gardinen, Wolkenstores, Übergardinen, Paradekissen auf den Betten, Orientteppichen. Wozu hatte man ein Möbelhaus? Man war nicht reich, aber wohlhabend, dafür hatte man sein ganzes Leben lang geschuftet. Nun konnte man es zeigen und sich darin wohlfühlen. Sichtbare Repräsentanz, daß das Leben bei aller Unsinnigkeit am Ende doch einen Sinn gehabt hatte.
    Eine halbe Stunde später rief Hubert Bader aus dem Geschäft an, auch das war normal. »Ich komme heute eine Stunde später. Wichtige Kunden. Ein kleines Hotel will sich neu einrichten. Tut mir leid, Else. Ist das Kind schon angekommen? Gib es mir mal.«
    Das Kind kam ans Telefon. Ev lächelte still. Zu Hause, dachte sie. Vater kommt wieder später, und Mutter weiß nicht, was sie jetzt mit den Klößen machen soll. Man kann Klöße nicht warmhalten. Sie müssen frisch aus dem kochenden Salzwasser kommen.
    »Das ist schön, daß ihr da seid«, sagte Hubert Bader am Telefon. »Hast du deinem Franzosen schon meine Orden in der Vitrine gezeigt?«
    »Nein, Papa.« Ev lehnte sich gegen die Wand. Es war alles wieder so, als sei sie nie weggewesen, als sei die Welt für sie nicht völlig anders geworden, nüchterner, realer, aber auch irgendwie lichter, wie von innen durchstrahlt. »Aber ich glaube, er hat sie gesehen. Er sitzt jetzt genau gegenüber im Sofa.«
    »Meine Fotoalben aus dem Krieg liegen in der linken oberen Schublade. Du kannst sie ihm schon zeigen.«
    »Ob ihn das interessiert, Papa?«
    »Warum nicht?« Hubert Baders Stimme klang erstaunt. »Gerade als Franzose! Als ich damals mit dem Gesangverein in Paris war, da haben wir auch den Arc de Triomphe besichtigt. Lauter Fahnen, Orden, Gemälde, Bilder, Uniformen. Warst du übrigens mal im Arc de Triomphe, Kind?«
    »Ja, Papa. Einmal …« Sie schloß die Augen. Der Fahrstuhl … so schnell er nach oben schwebt, es ist unendlich, wenn man sterben will. Die Plattform, windumweht, der Blick über die großen Boulevards und die von der Place sternförmig abgehenden breiten Avenues. Unter sich die Tiefe, die das Ende aller Qual bedeutet. Und dann eine Hand, die einen zurückreißt von der Brüstung, kurz bevor man sich dazu durchgerungen hat, hinunterzuspringen.
    »Wann kommst du, Papa?« fragte sie und atmete tief durch.
    »So gegen neun. Fangt

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