Liebe ist stärker als der Tod
Taxi war mit Blumen geschmückt, der ›Rote Henry‹ hatte eine Ode gedichtet, die er laut im Flur der Station P II vortrug und die so begann: »Befreit vom Fötus sind Uterus und Eva …« Doktor Andrès verhinderte den weiteren Vortrag, indem er den Dichter zu einem Kognak ins Arztzimmer einlud. ›Das Gebetbuch‹ sprach im Namen aller Heiligen den Schwestern seinen Dank aus, und Ponpon hüpfte durch den Gang wie ein Gummiball, den Kopf und die Schultern nach hinten durch die Beine gebogen. Es war ein Auszug, der viel Diskussionsstoff hergab, zumal auch Bouillon, zum erstenmal, renitent wurde, nicht in der Pförtnerloge blieb trotz Leberwurstbrot, oben auf der Station erschien und sofort Doktor Andrès wieder angriff.
»Er muß eine besondere Ausdünstung haben«, sagte der ›Rote Henry‹ zur Entschuldigung. »Er ist sonst der anschmiegsam-erotischste Hund von Paris.«
Pierre hatte in diesen Tagen gemalt wie nie in seinem Leben. Eine Art Rausch hatte ihn erfaßt, so profan und billig das klingt. Aber es gibt kein anderes Wort dafür, wenn man Tag und Nacht vergißt und nur mit seinen Farben und Empfindungen lebt.
Was er malte, lieferte er bei Professor Mauron ab, bis dieser am neunten Tage sagte: »Die Rechnung ist bezahlt, Monsieur de Sangries. Aber legen Sie um Gottes willen jetzt nicht den Pinsel wieder hin. Was Sie malen, ist Ihre Befreiung.«
Dann waren sie wieder in der Rue Princesse, oben in dem ›Zimmer in Gottes Hand‹, in dieser kleinen, dumpfen Welt mit den Tapeten aus Zeitungen und dem Blick über die Dächer von Saint-Germain-des-Prés, auf den häßlichen langen Schornstein des Nachbarhauses und in das nie zugezogene Fenster der kleinen Straßenhure Marie Lelong, genannt Pussy, die ihr strapaziertes Bett genau gegenüber dem Fenster stehen hatte, von wegen der besseren Luft.
Der ›Rote Henry‹ hatte Winterastern auf Evs Bett gelegt, und Madame Coco hatte einen Schokoladenkuchen gebacken und dazu Langouste au porto gemacht, das sind Langusten in Scheiben mit Champignons und Portweinsauce. Eine merkwürdige, aber ungemein sättigende Zusammenstellung.
Es war sehr spät, als sich Ev auszog, und sie tat es ohne Zögern und ohne Scham. Es war wie selbstverständlich.
Pierre saß an der Staffelei, und er sah sie stumm an, als sie nackt im Zimmer herumlief, irgendwie schemenhaft und unwirklich in der trüben Beleuchtung der einen Tischlampe. Ein zarter, weißer Körper, der sich lautlos durch den Raum bewegte.
»Komm, Pierre –«, sagte sie, als sie im Bett lag. »Komm …«
Er rührte sich nicht, starrte sie weiter an und atmete kaum.
»Wir wollten das doch nicht«, sagte er endlich. »Das nicht …«
»Ich liebe dich, Pierre«, antwortete sie. »Was sind dagegen dumme Vorsätze?«
»Professor Mauron hat mir ans Herz gelegt, dich zu schonen …«
»Du wirst mich schon nicht zerreißen, Pierre …«
Er antwortete nicht. Er empfand es als deprimierend, darüber zu sprechen, anstatt es zu tun. Aber er blieb sitzen, bis Ev, müde von der Rückkehrfeier, eingeschlafen war. Erst dann schlich er zu seinem Bett, legte sich angezogen auf die Decke und preßte die Fäuste gegen den offenen Mund. Dabei weinte er lautlos und wünschte sich, wieder das Kind zu sein, das seine schöne Mama tröstend an ihren warmen Schoß zog.
Drei Tage später fuhren sie nach Deutschland. Wladimir Andrejewitsch brachte sie zum Gare du Nord und reichte sieben große Tüten mit Eßwaren, Gebäck und Schokolade durch das Zugfenster. Madame Coco hatte darauf bestanden, alles mitzunehmen, um – wie sie sagte – Monsieur und Madame Bader in Köln zu beweisen, wie müt terlich sie für Ev sorgen würde. Dann hatte das rote Monstrum geweint, ein Anblick, den man ebensowenig vergißt wie die Wasserfälle des Niagara.
Genau an diesem Tag erinnerte sich Myrna Chabras im fernen Antibes an ihr ehemaliges Au-pair-Mädchen Eva Bader. War Jules nicht mit einem deutschen Gewehr erschossen worden? War nicht die Rede gewesen, daß dieses deutsche Flittchen schwanger gewesen war und den armen Jules der Vaterschaft bezichtigte? War sie nicht plötzlich verschwunden und irgendwo in Saint-Germain-des-Prés bei obskuren Leuten untergetaucht? War ihr nicht zuzutrauen, mit einem Gewehr Rache zu nehmen? Paßte es nicht zum hinterhältigen deutschen Charakter?
Eine gute Polizei – und Paris hat eine gute Polizei – gibt so schnell nicht auf. Und während Ev und Pierre ahnungslos mit dem Zug nach Köln fuhren und vor Namur das erste
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