Liebe ist stärker als der Tod
»Ich habe nichts anderes gelernt.«
Und Ev übersetzte: »Ja. Es ist ein schöner Beruf, aber es ist schwer, bekanntzuwerden. Paris wimmelt von Malern.« Und schnell setzte sie hinzu: »Aber das ist kein Grund, Paris mit einer anderen Stadt zu vertauschen.«
Hubert Bader nickte. Wie vorher Pierre wunderte nun er sich, daß ein so kleiner französischer Satz im Deutschen so lang sein kann. Ja, ja, das Französisch, es ist eben eine elegante Sprache!
Das Abendessen war eine Wucht, würde man in Deutschland sagen. Ein duftender Sauerbraten, auf rheinische Art, mit einer Soße, in der Rosinen schwammen. Klöße, so dick wie Kindsköpfe. Dazu Rosenkohl, nicht zu weich, sondern knusprig. Else Bader konnte vorzüglich kochen, wenn Hubert so richtig rundum satt war, bestätigte er es und streckte dann die Beine weit von sich. Das war für Else immer ein kleines Stück Glück und Seligkeit.
Das ›Pittermännchen‹ wurde angestochen, schön kühl aus dem Kühlschrank, und wenn es auch nicht Pierres Geschmack war, er trank das kölsche Bier, stieß mit Hubert Bader an und sagte höflich: »Excellent!« Damit gewann er die Hälfte von Huberts patriotischem Herz.
Später saß man in offener Runde, Hubert rauchte eine Zigarre, Pierre und Ev Zigaretten und Else knabberte Plätzchen mit Schokoladenguß. Es war eine etwas mühsame Unterhaltung, aber Hubert Bader verließ sich darauf, daß seine Tochter exakt dolmetschte.
Wenn er sagte: »Ein Problem der EG sind die französischen Bauern«, übersetzte Ev: »Vater meint, man sollte in der EG auch etwas für die Künstler tun.« Oder Bader erinnerte sich: »Als wir in Frankreich lagen, die 22. ID, da haben wir einmal in der Gegend von Châlon-sur-Marne einen Weinkeller entdeckt. Ich sage Ihnen, Pierre, die 4. Kompanie war drei Tage lang so besoffen, daß Ihre Poilus uns glatt hätten überrennen können, wenn sie das gewußt hätten.« Ev übersetzte: »Mein Vater hat kürzlich eine Fahrt nach Châlon-sur-Marne gemacht und die Soldatengräber besichtigt. Er war sehr beeindruckt.«
Man verstand sich jedenfalls bestens, bekam einen freundschaftlichen Kontakt und fand sich gegenseitig sehr nett. Als Pierre sich dann verabschiedete und sein Bett im Fremdenzimmer belegte, wurden die Gespräche mehr familiär. Hubert Bader zapfte noch ein Glas Kölsch und putzte sich laut die Nase. Wie früher, dachte Ev, wenn die Schulzeugnisse nicht besonders gut waren und durchgesprochen wurden.
»Wenn ich richtig verstanden habe«, sagte Hubert Bader, »ist dieser Pierre de Sangries zwar ein Adeliger, aber arm. Er ist Maler, aber kaum einer kennt ihn und kauft etwas von ihm.«
»Es kann nicht jeder ein Picasso oder Dali sein, Paps«, antwortete Ev.
»Aber ein Peter Pollatz. Von dem verkaufe ich jedes Jahr mindestens vierzig Alpenlandschaften. Ich! Und er beliefert meines Wissens noch zehn andere Verkäufer. Er hat in Düsseldorf am Rhein eine Villa.«
»Pierre ist Künstler, Paps.«
»Ist es keine Kunst, eine Almwiese so zu malen, daß man das Gras riecht? Was malt er denn, dein Pierre? Gut, ich will nicht ewig meckern, wie du es nennst – aber wenn er eine Familie ernähren will, muß er etwas dafür tun. Was malt er denn nun wirklich? Links oben ein Auge, rechts unten einen Fuß, in der Mitte neun Winkel und dann noch ein paar Kreise?«
»Das wäre Picasso und kostete 3 Millionen.«
»Ich sage ja, daß die Welt verrückt ist. Vor dem Krieg, im Haus der Deutschen Kunst –«
»Paps, wir leben nicht mehr vor dem Krieg.«
»Aber essen und trinken müßt ihr wie vor dem Krieg. Nur von der Liebe allein wird keiner satt! Überhaupt – ehem – Liebe. Wie soll das mit euch werden? Er ist ein netter Mann, zugegeben, und daß es gerade ein Franzose sein muß, ist deine Sache, obgleich es Millionen deutscher Männer gibt. Aber du bist großjährig …«
»Eben, Paps. Ich liebe Pierre.«
Else Bader begann mütterlich sanft zu weinen. Das Glück ihrer Tochter rührte sie an. Vielleicht waren es auch Erinnerungen. Vor einunddreißig Jahren, wie sah da die Liebe aus? Da lernte sie Hubert Bader kennen, als er vor einem Luftangriff in den Keller flüchtete, in dem auch die Familie Kleinkamp sich verkrochen hatte. Ein Urlauber mit dem EK II, ziemlich fesch und selbstsicher. Vom ersten Blick hatte sich Else Kleinkamp in ihn verliebt. Und sie heirateten, als Köln nur noch ein Ruinenhaufen war, in einem Standesamtszimmer, wo auf dem Tisch neben einem Primeltopf ein Stahlhelm, eine Gasmaske und eine
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