Liebe ist stärker als der Tod
schon mit dem Essen an.«
»Es gibt Klöße und Sauerbraten, Papa. Du weißt, die Klöße –«
»Ein Hotel will sich einrichten«, sagt Hubert Bader ernst. »Da werden doch wohl noch ein paar Klöße dranhängen …«
Zu Hause. Es ist ein eigentümliches, seliges, kindhaft-glückliches und doch zutiefst kritisches Gefühl, wenn man aus einer sich ständig verändernden, immer neu zu erobernden Welt in die seidentapetige, von behäbiger Gemütlichkeit durchwachsene Bürgerlichkeit zurückkommt. Irgendwie ist es sogar schön.
Gegen neun kam Hubert Bader aus dem Geschäft. Er fuhr seinen Wagen in die Garage neben dem Haus, klemmte eine große Tüte aus dem Supermarkt unter den Arm und rekapitulierte noch einmal die Sätze, die er sich auf Französisch zusammengestellt hatte, um Pierre de Sangries heimatlich zu begrüßen. In der Tüte waren Gänseleberpastete, Froschschenkel, zwei Flaschen Rosé de Provence, einige französische Käsesorten und ein Toastbrot, eben das, von dem man glaubt, daß es Franzosen täglich und gern essen. Es war eine rührende Geste von Hubert Bader. So national ist man ja gar nicht …
Pierre saß mit Ev im Wohnzimmer auf der Couch und sprang sofort auf (ein gut erzogener, höflicher junger Mann, stellte Hubert Bader sofort fest), als Bader eintrat. Else war in der Küche und legte jetzt die Klöße ins Wasser, nachdem sie die Zeit damit überbrückt hatte, über ihre dolmetschende Tochter Pierre zu erklären, wie sehr sie Bilder liebe, und daß auch Hubert Bader in seinem Möbelgeschäft Gemälde verkaufe, allerdings von ›Düsseldorfer Meistern‹. Besonders gefragt seien Alpenlandschaften, Seestücke, romantische Waldbilder, vielleicht mit einem Hirsch drauf, und vor allem Köpfe von trinkenden Mönchen oder pfeiferauchenden Bergbauern. Das Geschäft mit Schlafzimmerbildern (Marien und Engel) sei rückläufig. »Der moderne Trend –«, sagte Else Bader und lächelte weise. »Aber für die ganz moderne Kleckserei hat mein Mann gar nichts übrig. Das malt ein Hund mit wedelndem Schwanz und einem Pinsel dran auch, sagt er immer …«
Und Ev übersetzte: »Mama meint, wir gehen morgen auf den Weihnachtsmarkt in die Stadt …«
Pierre lächelte höflich. Ihm fiel nur auf, daß so lange deutsche Sätze in der französischen Übersetzung so kurz sein konnten.
»Willkommen!« rief Hubert Bader an der Wohnzimmertür und streckte Pierre die Hand entgegen. Er sagte tatsächlich: »Bienvenu, Monsieur de Sangries!«, fand den jungen Mann in dem braunen Cordanzug – trotzdem er viele blanke Stellen zeigte – auf Anhieb sympathisch und schüttelte nach bester deutscher Art die Hand Pierres, daß er es bis ins Schultergelenk hinein spürte. Und dann: »Comment allez-vous? Asseyez-vous, monsieur.«
Dann saß Pierre wieder, und Hubert Baders französischer Vorrat war ziemlich erschöpft. Doch der gute Wille war bewiesen. Die völkerverbindende Toleranz. Man sah sich an, lächelte verlegen und wartete auf ein erlösendes Stichwort, das die Luftleere wieder auffüllte.
»Gut siehst du aus, Kind«, sagte Hubert Bader endlich. »Es geht dir gut?«
»Es geht uns dreckig, Papa.«
»Uns?« Bader blickte kurz auf Pierre de Sangries. Väter von Töchtern hören Worte wie ›uns‹ in Zusammenhang mit einem anderen Mann nicht gern.
»Wir wohnen zusammen, Paps.«
»Aha!« Hubert Bader merkte selbst, daß das eine dumme Bemerkung war, aber die plötzliche Erkenntnis, daß das ›Kind‹ bei einem fremden Mann lebt, muß irgendwie verdaut werden, und dazu noch schnell. »Ihr … ihr wollt heiraten?«
»Vielleicht –«
»Wenn ihr zusammen lebt –«
»Wir wohnen zusammen, Paps.«
»Das ist doch dasselbe.«
»Nicht immer, Paps.«
Hubert Bader warf Pierre einen dankbaren Blick zu. Ein anständiger, junger Mann, dachte er. Auch wenn so etwas unwahrscheinlich klingt, es muß stimmen. Ev lügt nicht. Woran man immer sofort denkt! Wie sagte doch Peter Krummeis vom Stammtisch: »Je älter man wird, um so schamloser wird man.«
»Warum hast du nie geschrieben, daß du Geld brauchst?« fragte Bader. »Ich weiß, ich weiß: Du willst selbständig sein. Bist du nicht mehr bei dem Fabrikanten, wie hieß er doch noch?«
»Chabras …«
»Richtig.«
»Nein, da bin ich nicht mehr, Paps. Ich bin jetzt Sekretärin bei Monsieur Callac, einem Kunsthändler.«
»Kunst? Eine brotlose Arbeit.« Er beugte sich zu Pierre vor. »Sie sind Maler, hat mir Ev geschrieben? Peintre?«
»Oui, monsieur.« Pierre nickte.
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