Liebe ist staerker als Haß
aufs neue zwingen mußte, in ihm einen Howard zu sehen? Wenn sie ihn mit Rogan oder Severn zusammen sah, hatte sie oft den Wunsch, zu ihm zu laufen, ihn zu beschützen, ihn vor Lanzen zu behüten, die ihn hinterrücks bedrohten, und die Männer daran zu hindern, ihn auszulachen.
Aber sie durfte sich nicht in die Angelegenheiten ihrer Brüder einmischen. Sie war noch immer eine Peregrine, und er war noch immer der Feind.
In dieser Nacht kam er nicht wieder, und sie fand wenig Schlaf.
Drei Tage später verschwanden Tearle und Rogans dreijähriger Sohn zusammen.
15
Es war Liana, die entdeckte, daß der Knabe verschwunden war. Obwohl sie versucht hatte, ihn zu einem zivilisierten Menschen zu erziehen, war er schon ein echter Peregrine. Als er ein Jahr alt wurde, hatte ihm sein Vater zum Geburtstag ein Holzschwert geschenkt, und von seinem Onkel bekam er einen Lederhelm. Als er zwei Jahre zählte, hatte Rogan seinen Sohn auf ein Pferd gesetzt. Zu dieser Zeit war er schon häufig bei seinem Vater auf dem Übungsgelände und machte alles nach, was Vater und Onkel mit den Waffen vollführten.
Im Alter von drei Jahren kannte er keine Angst mehr. Liana hatte Rogan beschworen, gut auf den Knaben aufzupassen und ihn nicht frei unter den Männern im Hof umherlaufen zu lassen, die gewöhnlich halb betrunken oder erschöpft von den Übungen unter Rogan waren und das Kind leicht einmal über den Haufen rennen konnten. Aber Rogan hatte sie ein altes Weib genannt und ihr gesagt, daß alle Peregrines so erzogen worden seien und er dafür sorgen werde, daß sein Sohn ein Mann und keine halbe Frau werden würde.
Als daher Joice das Kind holen ging und es nicht in seinem Zimmer fand, dachte sie sich weiter nichts dabei. Außerdem mußte sie ihre stark geschwächte Herrin und den Neugeborenen betreuen. Sie erwähnte es ihrer Herrin gegenüber nicht einmal, daß das Kind sich nicht am gewohnten Ort aufhielt.
Und Liana vermißte ihren ältesten Sohn deshalb nicht, weil sie genügend mit Rogan zu tun hatte. Er tobte vor Wut, denn der Howard war verschwunden.
»Wo ist er?« schrie Rogan seine Schwester an.
Zared verharrte in starrem Schweigen. Sie hatte diese Frage ihres Bruders schon hundertmal beantwortet. Sie wußte es nicht. Er hatte die Nacht mit ihr verbracht, war jedoch früh aufgestanden und hinausgegangen. Sie war ihm nicht gefolgt.
Zared sagte ihrem wütenden Bruder nicht, daß sie sich vorher gestritten hatten. Genaugenommen war es eine Wiederholung ihres alten Streits. Wieder einmal hatte Tearle sich darüber aufgeregt, daß sie kein Vertrauen zu ihm habe, obwohl er ihr Vertrauen verdiene. Immerhin hatte sie ihm offenbart, daß sie trotz ihres mangelnden Vertrauens innerlich zerrissen war, zwischen ihren Brüdern und ihm hin und her schwankte. Aber das besänftigte ihn nicht, sondern stachelte seinen Zorn nur noch mehr an.
»Genauso wie dein Bruder nicht die Hälfte des Landes annehmen will, das den Howards gehört, so begnüge ich mich auch nicht mit der Hälfte von dem, was mir ganz zusteht.« Mit diesen Worten war er aus dem Gemach gestürmt. Danach hatte sie ihn nicht wiedergesehen.
Severn meinte, der Howard hätte das Leben bei den Peregrines einfach nicht mehr ausgehalten. Doch Rogan widersprach. Er vertrat die Ansicht, daß der Mann wahrscheinlich zu seinem Bruder geritten war, um ihn über die verwundbaren Stellen im Verteidigungssystem der Peregrines zu unterrichten.
»Hört endlich auf!« hatte Zared geschrien. »Er hat alles ertragen, was ihr ihm abverlangt habt«, warf sie ihrem ältesten Bruder laut vor. »Alles, was ihr von ihm gefordert habt. Und er hat unter dieser Belastung nicht einmal gewankt. Und er kann noch viel mehr aushalten.«
»Wo ist er dann?«
Darauf wußte Zared keine Antwort. War er einfach fortgeritten, weil er von dem Haß der Peregrines ge-nug hatte? Aber hätte er sie ohne ein Wort verlassen? Oder war er doch zu seinem Bruder zurückgekehrt? Drohte jetzt Krieg? Mußte ihre Familie durch ihre Schuld sterben? Es war unerträglich.
So wurde es fast Mittag, bis Liana entdeckte, daß auch ihr Sohn verschwunden war. Sie litt noch unter den Nachwirkungen der Geburt, und die Angst um ihren verschwundenen älteren Sohn machte sie ganz elend.
»Der Howard hat meinen Sohn entführt«, sagte Rogan im erregten Flüsterton.
Zared glaubte, nicht recht gehört zu haben. »Nein«, sagte sie leise. Und dann lauter: »Nein! So etwas würde er nie tun!«
Rogan warf ihr einen Blick zu, der besagte,
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