Liebe ist staerker als Haß
Zwei Tage lang redete sie sich ein, daß er sie und ihre Familie nicht betrogen habe. Er konnte das Kind nicht entführt haben. Sie dachte an die schönen Zeiten, die sie miteinander verlebt hatten und wie oft er ihr versichert hatte, daß er die Fehde zwischen den beiden Familien ein für allemal beenden wolle.
Gegen Mittag des dritten Tages schickte ihnen Rogan Nachricht durch einen Boten. In der Begleitung des Boten kam ein Mann, der aussagte, er habe vier Männer der Howards mit einem rotblonden Knaben bei sich in Richtung der Howard-Ländereien reiten sehen. Der Mann wohnte in der Nähe dieses Gebiets und erklärte, er habe Tearle erkannt.
In diesem Augenblick verlor Zared den Glauben an ihren Ehemann. Nachdem sie den Boten angehört hatten, wurde sie ganz still und sagte kein Wort mehr. Nur Liana merkte es und ahnte, was sie vorhatte.
Liana drehte sich um und sah, daß ihre Schwägerin das Gemach verlassen hatte. Sie lief ihr nach und fand Zared. Sie war gerade dabei, die Rüstung anzulegen, die ihre Brüder für sie hatten anfertigen lassen.
»Du wirst ihnen nicht nachreiten«, sagte Liana.
»Ich habe ihn hergebracht, und ich werde ihn auch wieder wegschaffen. Ich werde ihn aufspüren und töten. Er wird mich nahe an sich herankommen lassen, so daß ich ihm den Todesstoß versetzen kann.«
Liana erkannte, daß es keinen Zweck hatte, mit einer Peregrine zu streiten. Wenn es sich um ihren Haß gegen die Howards handelte, hörten sie auf keine Vernunftgründe. Liana ging hinaus und rief drei Männer zu sich Es waren Alte und Krüppel, die nicht mit Rogan hatten fortreiten können. Sie befahl ihnen, Zared festzuhalten, und machte sie dafür verantwortlich, daß Zared die Burg nicht verließ.
So wurde Zared zwei Tage lang streng bewacht. Dann kam das Peregrine-Heer zurück, und Liana ging zu ihr, um sie freizulassen.
Die Haft hatte Zareds Zorn keineswegs besänftigt. Sie kochte vor Wut. Liana konnte ihr nicht in die Augen sehen. Als sie ihr die Hand auf den Arm legen wollte, wich Zared ihr aus.
»Sie kommen zurück«, sagte Liana leise.
Zared schob sie beiseite und rannte die Treppe hinauf zu den Zinnen. Obwohl sie noch weit entfernt waren, sah Zared, daß sie ihren Mann bei sich hatten. Mit gesenktem Kopf ritt er neben Rogan her, und sie erkannte, daß seine Hände auf den Rücken gefesselt waren.
Sie wartete und ließ sie nicht aus den Augen. Als sie näher gekommen waren, sah sie, daß Tearle geschlagen worden war. Einen Augenblick, nur einen winzigen Augenblick lang tat ihr das weh, spürte sie noch einmal seine Hände an ihrem Körper und dachte an sein Lächeln. Doch danach dachte sie nur noch an seinen Verrat und daran, wie er ihre Familie betrogen hatte.
Sie ging die Treppe hinunter und wartete im Hof, bis sie eintrafen. Liana stand hinter ihr. Zared hielt den Atem an, als sie Tearles Gesicht sah, dieses gutgeschnittene Gesicht, das jetzt blau und schwarz und angeschwollen war.
Sie fühlte, daß ihr Tränen in die Augen stiegen, aber sie drängte sie zurück. Es war ein Wunder, daß Rogan den Mann nicht auf der Stelle erschlagen hatte. Aber dann wurde ihr klar, daß er Tearle zurückgebracht hatte, um ihn öffentlich hinrichten zu lassen. Und sie würde dabei zuschauen müssen.
Jetzt stießen sie ihn vom Pferd. Es sah aus, als ob er zu Boden fallen würde. Doch er fing sich trotz der gefesselten Hände noch einmal ab. Ein Mann streckte die Hand aus, um ihm hochzuhelfen, aber Tearle zog die Schulter zurück und richtete sich ohne die unerbetene fremde Hilfe auf.
Zared stand keinen Meter von ihm entfernt und sah zu, wie ihr Mann mit Mühe zum Stehen kam. Da erblickte er sie. Sein Gesicht war kaum wiederzuerkennen. Zared zuckte zusammen, sah ihm aber ruhig in die Augen und stand fest auf den Beinen. Sie würde nicht noch einmal weich werden und sich von ihm hereinlegen lassen. Sie reckte die Schultern, und ihr Blick gab ihm zu verstehen, daß er von ihr nichts mehr zu erwarten habe, daß sie ihn einmal geliebt hatte und es damit endgültig vorbei war.
Er sah sie lange an. Dann wandte er sich ab und ging die Treppe hinauf in die Burg. Fast wäre Zared ihm gefolgt, denn noch nie hatte jemand sie so angesehen wie er gerade. Sie kannte seine Blicke, wenn er sich amüsierte, wenn er verzweifelt war und wenn er sie liebte. Aber noch nie hatte er sie haßerfüllt angesehen. Sie hatte geglaubt, er wäre nicht fähig zu hassen. Vielleicht hatte sie sich schon eingeredet, daß Haß ein Vorrecht der
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