Liebe ist staerker als Haß
zu verstehen, denn sie hielt inne. Mit den Händen fuhr Zared über die Wand, auf der Suche nach einer Öffnung. Nach geraumer Zeit fand sie einen Spalt. Aber er war so schmal, daß sie keinen Finger hineinzwängen konnte.
»Ich kann den Stein nicht lockern. Ich muß zurückgehen und mir ein Werkzeug holen.«
Nun schien die Frau in Panik zu geraten. Mit ausgebreiteten Armen stellte sie sich vor die Tür und versperrte Zared den Weg. Natürlich hatte sie recht. Sie durfte dieses Gemach nicht verlassen, denn es war ein weiter Weg gewesen, und sie würde kaum noch einmal zurückfinden. Außerdem würde Tearle sie bald suchen. Er würde zornig sein, daß sie aus seinem Gemach gegangen war, obwohl sie versprochen hatte, dort zu bleiben. Wahrscheinlich würde er sie dann bewachen lassen, damit sie nicht wieder entwischte.
»Ihr habt recht«, sagte sie. »Ich darf jetzt nicht raus. Sind hier irgendwo Werkzeuge?«
Die Frau schien einen Augenblick zu überlegen. Dann ging sie zu einer großen Truhe an der Wand und zeigte darauf. Zared öffnete die Truhe, fand aber nur Stricknadeln und Garn darin. Sie nahm ein Paar stählerner Nadeln heraus. »Wollt Ihr, daß ich den Stein mit Stricknadeln lockere?« fragte sie.
Als Antwort erhielt sie nur ein schwaches Lächeln. Es wirkte so menschlich, daß Zared es erwiderte. »Seid Ihr meine Großmutter?« fragte sie. Die Frau nickte. Lächelnd sagte Zared: »Rogans ältester Sohn kommt nach Euch.« Wieder glaubte Zared Tränen in den Augen der Frau zu entdecken. Aber sie wandte sich so schnell ab, daß Zared dessen nicht sicher war.
Nun ging Zared zu der Wand und stocherte in dem Spalt herum. Sie war so sehr damit beschäftigt, den lockeren Stein aus dem Gemäuer zu befreien, daß sie nicht einmal hörte, wie die Tür aufging und Schritte sich ihr näherten. Als Tearle sie ansprach, sprang sie vor Schreck in die Luft.
»Darf ich fragen, was du da tust?«
Die Hand aufs Herz gepreßt, drehte sie sich um und starrte ihn an. »Du hast mich zu Tode erschreckt. Wie kommst du dazu, hier herumzuschleichen?«
»Ich schleiche herum? In meinem eigenen Haus? Du hast mir versprochen, in meinem Gemach auf mich zu warten.«
Rasch überlegte sie, wie es ihm möglich gewesen war, sie zu finden. »Und du hast gesagt, du würdest keine Wache vor die Tür stellen. Du mußt es aber doch getan haben, sonst hättest du mich nicht finden können. Ist dein Bruder ...?«
»Ja, er ist gestorben.«
»Dann gehört dir jetzt also das ganze reiche Schloß.«
»Jetzt gehört mir dieses ganze blutgetränkte Schloß«, erwiderte er verdrossen.
Zared wußte nicht, was sie dazu sagen sollte. Ein rascher Rundblick zeigte ihr, daß das Gemach sich wieder in den verschmutzten, seit Jahren unbetretenen Raum verwandelt hatte, den sie zuerst vorgefunden hatte. Der Geist war spurlos verschwunden. Dafür brannten zwei Fackeln an der Wand, die vorhin nicht dagewesen waren.
»Was tust du hier?« fragte er.
»Hat dir das nicht der Mensch gesagt, der mir nachgeschnüffelt hat?«
Er lächelte schwach. »Er sagte, daß du Katzenaugen haben mußt, denn er konnte überhaupt nichts sehen. Er kann sich nicht erklären, wie du den Weg hierhergefunden hast.«
Da wußte Zared, daß der Mann den Geist nicht gesehen hatte.
»Woher kennst du das Schloß so gut, daß du dieses Gemach finden konntest? Weißt du nicht, was man von ihm sagt? Daß es von einem Gespenst heimgesucht wird! Als Knaben sahen wir es als eine Mutprobe an, es zu betreten.«
Und du hast kein Gespenst hier drin gesehen?«
Er sah sie merkwürdig an. »Einmal glaubte ich eine Frau zu sehen, die mich mit großer Anteilnahme betrachtete.«
Wahrscheinlich ist sie neugierig gewesen, wie ihr Nachkömmling aussieht, dachte Zared, sagte aber nichts.
»Ich frage dich nochmals, was du hier zu suchen hast.«
Zared holte tief Luft. »Genau weiß ich es nicht, aber ich glaube, daß hinter diesem Mauerstein die Bücher versteckt sind, in denen die rechtmäßig geschlossene Ehe meiner Großmutter aufgezeichnet ist.«
Er wollte sie fragen, wie sie darauf kam, unterließ es jedoch. Nach einer Weile fragte er: »Bist du deshalb zu mir zurückgekommen, damit du in dieses Gemach gelangen kannst? Um die Register zu finden und das Land für deinen Bruder zu sichern?«
»Nein«, sagte sie leise. »Ich bin zu dir zurückgekommen, um mit dir zusammenzuleben. Von diesem Gemach wußte ich nichts. Heute abend wurde ich ... hergeführt.«
Forschend blickte er ihr in die Augen. Doch
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