Liebe ist staerker als Haß
Männer wie sie ungewöhnlich? Oder gibt es viele Männer wie sie?«
Liana ließ sich Zeit für ihre Antwort. «Ich glaube nicht, daß es irgendwo Männer wie deine Brüder gibt, Zared. Aber zu einem Mann gehört mehr als ein starker rechter Arm. Den Ehemann wählt man nicht allein nach körperlicher Stärke aus. Es gibt noch andere Eigenschaften wie zum Beispiel Güte und Selbstlosigkeit. Und es kommt darauf an, ob er dich und deine Kinder lieben wird.«
»Und ob er seine Familie vor Feinden schützt.«
»Ja, auch das ist wichtig. Jedoch...« Sie wußte nicht, wie sie diesem Mädchen erklären sollte, daß es auch noch andere Lebensweisen gab als die, die sie kannte. Ihr ganzes Leben lang hatte Zared nur den Privatkrieg mit einer anderen Familie kennengelernt. Zu ihrem eigenen Schutz war sie als Knabe aufgezogen worden. Sie wußte nicht, wie es war, im Sonnenschein neben einem gutaussehenden jungen Mann zu sitzen, der die Laute schlug und ihr ein Ständchen brachte. Nie hatte ein Mann ihr die Hand geküßt und ihr gesagt, wie schön die Sonnenstrahlen in ihren Haaren spielten. Nie hatte Zared mit den Mädchen gekichert oder mit einem Jüngling geflirtet oder andere Dinge erlebt, mit denen sich Mädchen befassen.
Zared kannte nichts als das Schwert und die Pferde und konnte mit den Männern vulgäre Lieder grölen. Doch sie konnte weder Satin von Brokat noch Hermelin von Zobel unterscheiden. Am schlimmsten aber war, daß sie außer ihren Brüdern keine anderen Männer kannte.
»Du wirst keinen Ehemann finden, der so wie deine Brüder ist«, sagte Liana leise.
»Dann werde ich niemals heiraten«, erwiderte sie mit der Unbedingtheit der Jugend. »Dann werde ich bis zum Tod Jungfrau bleiben.«
Das brachte Liana zum Lachen. Sie fühlte, wie ihr Kind sich im Mutterleib bewegte. Eine Peregrine, die Jungfrau blieb? Das war ein Witz. Sie wußte besser als die Brüder, daß Zared, wenn sie einmal ihre sexuellen Gefühle entdeckt hatte, unmöglich zurückzuhalten wäre. Wenn Severn beim Turnier nicht gut auf sie achtgab und sie einen prachtvollen Mann kennenlernte, der ihre Liebe gewann ...
An die möglichen Folgen wollte Liana lieber nicht denken, denn Zareds Brüder würden jeden Mann umbringen, der ihre kleine Schwester anrührte. »Ich glaube, ich mache einen Fehler, wenn ich dich mitreiten lasse.«
»Ich werde mich gut betragen«, versprach Zared. »Ich werde Severn gehorsam sein und stets in seiner Nähe bleiben. Mit mir wird es keinen Ärger geben. Das schwöre ich dir, Liana. Ich gebe dir mein Wort als eine Peregrine.«
Liana seufzte lächelnd. »Die Peregrines sind geborene Unruhestifter. Du und dein Bruder, ihr werdet euch in schreckliche Situationen bringen. Du mußt mir schwören, nicht zuzulassen, daß Severn einen Mann erschlägt, und nicht mit einem Kind im Leib heimzukommen.«
Zared blieb der Mund offenstehen. »Mit einem Kind?«
»Das mußt du mir schwören. Sonst kannst du nicht
mit.«
Zared zog ein Gesicht. Ihre Schwägerin verstand nichts. Severn wollte eine Frau erobern und keinen Mann erschlagen. Und sie wollte alle Sehenswürdigkeiten bestaunen. Außerdem hielten die anderen Leute sie für einen Jüngling. Daher würde kein Mann versuchen, sie zu schwängern. Plötzlich fiel ihr ein, daß der jüngste Howard sie geküßt hatte. Er hatte also gewußt, daß sie eine Frau war. Aber das lag wahrscheinlich daran, daß er selber eine halbe Frau war. Schon bei einer kleinen Stichwunde in Ohnmacht zu fallen!
»Ich schwöre es«, sagte Zared.
»Nun, damit soll es genug sein. Jetzt sieh zu, daß du heute nacht gut schläfst, denn morgen wirst du mit deinem Bruder losreiten.«
Zared grinste breit. »Ja, das ist schön. Ich danke dir, Liana, ich danke dir. Ich werde dem Namen Peregrine Ehre machen.«
»Sag so etwas nicht! Sonst muß ich annehmen, daß du mit einem Dutzend Köpfen auf den Speeren zurückkommen willst. Gute Nacht, Zared. Ich werde jeden Tag für dich beten.« Liana ging hinaus und schloß die Tür hinter sich.
Zared blieb einen Augenblick unbeweglich stehen. Dann aber machte sie einen Luftsprung, so hoch, daß sie mit den Händen an die rissige Gipsdecke stieß. Ihr war, als begänne mit dem morgigen Tag ihr Leben erst richtig.
3
Zwei Tage lang ließ Tearle Olivers Schimpftiraden gegen die Peregrines über sich ergehen. Das meiste, was er zu hören bekam, half ihm nicht weiter. Doch geduldig hörte er ihm zu - und erfuhr schließlich, daß das Mädchen den Namen »Zared« trug.
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