Liebe ist staerker als Haß
Belohnung für seine Rettungstat versprochen?
Er warf den Helm auf die Erde und spornte sein Roß, ohne auf die Rufe des Herolds und das Gelächter der Menschen in seiner Nähe zu achten. Sein einziger Gedanke war, die schöne Lady Anne zu erobern.
Als die Hufe seines Kampfrosses über den Boden donnerten, blieben alle stehen und drehten sich um. Severn schien es, als halte sich ein Mann neben Lady Anne auf. Doch dem schenkte er keinen Blick. Severn beugte sich nach rechts, und während er das Pferd mit den Oberschenkeln lenkte, packte er mit dem gepanzerten rechten Arm Lady Anne um die Taille und zog sie an sich. Er wollte sie küssen, aber das gelang nicht ganz. Von dem stundenlangen Sitzen unter dem Helm in der prallen Sonne war er so verschwitzt, daß sein nasses Gesicht nur über ihre Züge hinwegglitt.
Am anderen Ende des Platzes zügelte er das Pferd und setzte Lady Anne wieder ab. »Ich habe mir meine Belohnung abgeholt!« rief er laut den Leuten zu, die alles mit angesehen hatten.
Lady Annes Augen funkelten. Es sah aus, als wolle sie ihm etwas erwidern. Doch er gab ihr keine Gelegenheit dazu, sondern ritt sofort weiter. Später würde sie genügend Zeit haben, ihm Liebesworte zuzuflüstern. Er ritt davon, ohne sich zu überzeugen, welchen Eindruck er hinterlassen hatte.
Zared hatte mit angesehen, wie ihr Bruder wider allen Regeln eigenmächtig losgaloppiert war und Lady Anne von der Seite ihres Vaters weggerissen hatte. Am liebsten wäre sie auf der Stelle tot umgefallen.
Ihr Wunsch wurde nicht erfüllt.
Was hatte Severn vor? Sie wußte so gut wie nichts über die Turnierbräuche, aber ihr war klar, daß er etwas Schreckliches, etwas ganz Schreckliches getan hatte. Sie hätten still an den Tribünen vorbeiziehen sollen. Vielleicht hätte ihre abgetragene, beschmutzte Kleidung einige Bemerkungen hervorgerufen, aber so etwas ...
Sie sah Lady Anne, die Fäuste in die Hüften gestemmt, an der Stelle stehen, wo Severn sie abgesetzt hatte. In Wutanfällen kannte Zared sich aus. Sie wußte, daß Lady Annes Wut mörderisch war.
Ringsumher schwiegen die Menschen. Der Schreck hatte ihnen die Sprache verschlagen. Zu ihrer Linken lachte jemand laut und höhnisch. Zared drehte sich um. Es war der junge Jamie. Sauber und hübsch stand er in seinem weißen Waffenrock da, und nun packte Zared die Wut.
Sie lenkte ihr Pferd auf den Jüngling zu, senkte die Stange mit dem Wimpel der Peregrines wie eine Lanze und griff an. Mit schreckgeweiteten Augen wandte er sich zur Flucht.
Zared holte ihn nie ein. Denn der lange Wimpel, den sie über die Erde nachzog, wickelte sich um die Pferdebeine und ließ das Her straucheln. Es blieb abrupt stehen, und Zared, die sich weit vorgebeugt hatte, flog in hohem Bogen über den Pferdekopf und landete flach auf dem Rücken. Eine Zeitlang konnte sie weder atmen noch denken. Sie lag nur da und starrte in den Himmel.
Das erste, was sie vernahm, war ein dröhnendes Gelächter.
Vor ihr stand, die Hände auf den Knien, Jamie, sah auf sie herab und lachte. Und rechts von ihr standen wohl hundert Menschen und lachten ebenfalls.
Sie war benommen und keiner Bewegung fähig. Sie konnte nur daliegen.
»Aufhören!« hörte sie jemand sagen. Sie blickte auf. Colbrand beugte sich über sie. In Weiß und Silber sah er wie ein Engel aus.
»Bist du verletzt, Knabe?«
Zared brachte es fertig, den Kopf zu schütteln. Und als er ihr die Hand reichte, um ihr aufzuhelfen, lächelte sie ihn an.
Colbrand erwiderte ihr Lächeln. »Gut«, sagte er. »Laß mich dich anschauen.«
Er legte ihr die Hände auf die Schultern. Danach drehte er sie herum und wischte ihr den Staub vom Rücken. Zared meinte, bei seiner Berührung vor Entzücken zu vergehen. Sie sah ihm ins Gesicht, in diese tiefblauen Augen, und merkte, wie ihr die Knie schwach wurden.
»Ich glaube doch, du bist verletzt«, sagte Colbrand, und zu Zareds ungläubiger Überraschung nahm er sie in die Arme.
Das war zuviel für Zared. Sie fiel in Ohnmacht.
Anne Marshall wusch sich das Gesicht in kaltem Wasser und blickte in den Metallspiegel an der Wand. Sie war noch ganz rot, so hatte sie sich abgerieben, um den Schweiß des Mannes von ihrer Haut zu entfernen. Die Rippen taten ihr von dem heftigen Schwung weh, mit dem er sie vom Boden hochgerissen hatte. Die Rüstung hatte ihr die Haut aufgeschürft.
In ihren Ohren klang noch das Gelächter der Menge nach, das aufgebrandet war, als sie dieser .. .dieser ... Ihr fiel keine Bezeichnung für ihn
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