Liebe ist staerker als Haß
ein. Er hatte sie erniedrigt, sie vor Hunderten zum Gespött gemacht. Auch der verhaßte Alte, mit dem Catherine an diesem Morgen vermählt worden war, hatte sie ausgelacht.
Sie blickte in den Spiegel und sah, wie ihre Wut sich in einer Tränenflut Bahn brach. Wäre sie doch nur mit ihrer Mutter in Frankreich geblieben ... Wäre sie doch nie in dieses barbarische Land gekommen, wo die Männer sich fast wie Tiere benahmen. Wäre sie nur ...
Jäh flog die Tür auf und unterbrach ihren Gedankengang. Ihr Vater kam herein. Nicht einmal angeklopft hatte er. Nie zeigte er die geringste Achtung vor seinen Töchtern.
»Unten sitzen sie beim Essen, und alle wollen meine unverheiratete Tochter sehen«, sagte er.
»Ich fühle mich nicht wohl«, erwiderte Anne wahrheitsgemäß. »Ich kann jetzt nichts essen.«
»Du wirst essen, und wenn ich dich dazu zwingen muß. Ich dulde nicht, daß meine Tochter sich schmollend zurückzieht, nur weil ein Mann sie angefaßt hat.«
Eben hatte Anne sich noch selbst bemitleidet. Jetzt sagte sie zornig: »Ein Mann! Das nennst du einen Mann? Ich hätte es erraten können. Es ist der Bruder jenes Kerls, der die arme Lady Liana geheiratet hat. Kein Wunder, daß ...«
»Sie ist zwei Jahre verheiratet, hat ihm einen Sohn geschenkt, und in wenigen Tagen wird der zweite erwartet. Und der Vater dieser Peregrines hat nur Söhne gezeugt.«
Anne spie die Antwort förmlich aus: »Es gibt Wichtigeres im Leben als Söhne!«
Hugh Marshall trat einen Schritt auf seine Tochter zu, aber Anne dachte nicht daran, zurückzuweichen. »Ich würde nicht zu verächtlich auf ihn herabsehen. Vielleicht wirst du bald wie Lady Liana den Peregrines Söhne schenken.«
»Nein«, sagte Anne mit unterdrückter Stimme. »Bitte ...« fuhr sie fort, hielt aber gleich wieder inne. Nein, sie würde ihren Vater nicht um etwas bitten. Sie reckte die Schultern. Denk daran, sagte sie sich, dein Verstand gegen seine Macht! »Wenn du dir dumme Enkelsöhne wünschst, dann mußt du mich unbedingt mit diesem Mann vermählen. Zweifellos wünscht der König einen dieser Peregrines an seiner Tafel zu sehen. Nach dem, was ich heute erlebt habe, ist mir klar, daß ein Peregrine gut an den Hof paßt. Aber vielleicht bedeutet dir das nichts. Bestimmt möchtest du lieber hören, wie man deine Enkelsöhne verhöhnt, wenn sie sich dem König vorstellen. Vielleicht solltest du Seine Majestät schon mal fragen, ob er beabsichtigt, diesen Ritter Peregrine einzuladen und ihm an seiner Seite den Platz über dem Salzfaß anzuweisen.«
Mit finsterem Blick maß Hugh seine Tochter. Er haßte kluge Frauen. Er ertrug es nicht, wenn Frauen ihm eine Antwort gaben, die er nicht vorhergesehen hatte. Darin war sie genau wie ihre Mutter, deren Zunge doppelt so schnell gearbeitet hatte wie sein Verstand. Als sie ihn damals gebeten hatte, zu ihrer Familie nach Frankreich zurückzukehren, hatte er sie nur allzu gern ziehen lassen.
Aber auf keinen Fall würde er seiner klugen Tochter die Genugtuung verschaffen, ihn durch ihre Worte aus der Fassung gebracht zu haben.
»Wenn ich erleben muß, daß du diesem Mann dein Mißfallen zeigst, wirst du es noch bedauern«, sagte er. Dann ging er schnell aus dem Zimmer. Wenn ich nicht andere Rücksichten zu nehmen hätte, dachte er, würde ich sie mit dem gröbsten Kerl vermählen, den ich finden kann. Sie brauchte einen Mann, der ihre Zunge im Zaum halten konnte. Leider wußte sie, daß Hugh unbedingt Enkelsöhne brauchte. Da er es nicht fertiggebracht hatte, Söhne zu zeugen, mußte er dafür sorgen, daß seine schwächlichen Töchter ihm Enkelsöhne schenkten. Im übrigen hatte seine Tochter recht, so ungern er sich das auch eingestand. Er wollte keine Enkel haben, die bei einem Turnier ausgelacht wurden. Sogar der König hatte sich beim Anblick der schmutzigen Peregrines eines Lachens nicht erwehren können.
Hugh zog eine Grimasse. Verdammtes Mädchen! Wenn er etwas noch mehr haßte als eine kluge Frau, so war es eine Frau, die recht hatte. Im Sturmschritt ging er über den Flur zur Treppe. In den nächsten drei Tagen mußte er einen Gatten für das Mädchen finden, damit er sie los wurde. Er hatte keine Lust, es länger mit ihrer spitzen Zunge und ihrem Verstand aufzunehmen, der schärfer war als seiner. Sollte sich jemand anders damit abplagen!
Als ihr Vater weg war, stieß Anne einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie war durchaus in der Lage, mit ihm fertigzuwerden - wenigstens im Augenblick. Eilig vollendete sie
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