Liebe ist staerker als Haß
Zuletzt fragte er, ob sie glaube, daß er auch Colbrand besiegen könne.
»Nie im Leben«, antwortete sie. Und dann rannte sie klugerweise weg.
Er fing sie ein und kitzelte sie so lange, bis sie zugab, daß er vielleicht, möglicherweise, unter Umständen auch besser als Colbrand sei.
Als es dunkel wurde, sagte er ihr, daß sie jetzt nach Haus reiten müßten, denn zur Nachtzeit würden bestimmt unliebsame Gesellen auf dem Plan erscheinen und er wolle nicht riskieren, daß sie zu Schaden käme. Sie widersprach zuerst. Doch sie war wirklich schon sehr müde. Er stieg aufs Pferd, und dann reichten ihm die fünf Howard-Männer, die sie den ganzen Tag begleitet hatten, Zared hinauf, und sie ritt die zehn Meilen zurück in Tearles Armen.
Zu Haus entkleidete sie sich und wartete auf ihn. Sie war sicher, daß er heute mit ihr schlafen würde. Doch das tat er nicht. Wie immer gab er ihr nur einen Gutenachtkuß und ging. Trotz aller Müdigkeit konnte sie nicht einschlafen. Deshalb stieg sie aus dem Bett und setzte sich ans Kaminfeuer.
In den Sessel gelehnt, spürte sie die Wärme auf ihrem Gesicht. Manchmal wünschte sie sich, sie könnte wieder heimkehren. Dorthin, wo alles so war, wie es sein sollte. Dort wußte sie, wer ihre Freunde und wer ihre Feinde waren. Sie war in der Gewißheit aufgewachsen, daß sie die Howards zu hassen habe. Doch jetzt gingen ihr tausend Bilder durch den Kopf. Sie sah Tearle in schwarzer Rüstung, wie er alle Gegner aus dem Sattel fegte. Sie dachte an sein Lachen und an seine Scherze mit ihr. Sie hörte ihn vorlesen, und sie sah, wie er sie beim Schein der einen Kerze anlächelte.
Zared legte die Hand an den Kopf. War er nun ihr Feind oder ihr Freund? Da er ein Howard war, konnte er nicht ihr Freund sein - und doch ...
In den letzten beiden Wochen waren sie fast ständig zusammengewesen, und sie hatte Gespräche mit ihm geführt wie noch mit keinem anderen Menschen. In ihrer Familie wurde jedes Gespräch, das sich nicht um den Krieg gegen die Howards drehte, als Zeitverschwendung angesehen. Aber für Tearle schien kein Gespräch Zeitverschwendung zu sein.
Sie sprachen über Erlebnisse aus ihrer beider Kindheit, über das, was sie gern gehabt und was ihnen mißfallen hatte und was sie sich von der Zukunft erhofften. Dabei war es ihnen immer gelungen, jede Erwähnung des Hasses zwischen ihren beiderseitigen Brüdern zu vermeiden. Es war ihnen so gut gelungen, daß es fast so schien, als wären sie keine geschworenen Feinde.
Tearle hatte ihr von ihm gezeichnete Pläne zur Renovierung der Unterkünfte rings um das Haus seiner Mutter gezeigt. Er nahm sie mit, wenn er einige der Pächter dort besuchte. Daheim bei ihren Brüdern kannten sie ihre Pächter nicht einmal mit Namen. Für ihre Brüder waren nur Männer von Bedeutung, die kämpfen konnten. Aber bei den vielen Besuchen in der Heimat, die Tearle und seine Mutter während des
Aufenthalts in Frankreich unternommen hatten, war Tearle mit den Menschen bekannt geworden, die seine Äcker pflügten. Er erkundigte sich nach ihren Kindern, und wenn jemand krank war, sorgte er für Pflege.
Wie konnte sie einen Menschen hassen, der so freundlich war und so oft lachte? Zuerst dachte sie, er wollte nur den Anschein erwecken, daß er sich um andere Menschen kümmere. Aber die Männer und Frauen, die für ihn arbeiteten, waren ohne Furcht vor ihm, und die Kinder rannten ihm entgegen und erwarteten, daß er für sie Süßigkeiten aus der Tasche holte.
Zared fragte ihn jetzt öfter über sein Leben aus. Was er getan habe, als er mit der Mutter wieder nach England zurückgekehrt war. »Hast du da oft deine Brüder besucht?«
»Nein«, antwortete Tearle leise. »Meine Mutter hatte das Gefühl gehabt, ihre Pflicht getan zu haben. Sie hatte ihrem Mann Söhne geschenkt, die er in Schlachten gegen die Peregrines und in den Tod schicken konnte. Sie glaubte, ihm keine weiteren Söhne schuldig zu sein, und ihr weiteres Leben wollte sie ohne ihn verbringen. Da ich der jüngste Sohn war, nahm sie mich nach Frankreich mit. Dort lebte ich mit ihr. Meinen Vater und meine Brüder sah ich nur selten.«
Erst nach einiger Zeit begriff Zared, daß er nicht zur Teilnahme an der Fehde erzogen worden war, daß ihm der Haß zwischen den Peregrines und den Howards nichts bedeutete.
Je mehr sie darüber nachdachte, um so verwirrter wurde sie. Wenn ihm dieser Haß belanglos erschien, warum hatte er sie dann geheiratet? Als sie gesagt hatte, daß sie sich von ihm nicht
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