Liebe ist Sterblich (Valerie Dearborn) (German Edition)
verrückt“, murmelte sie. Sie senkte den Becher, tief atmend. Sie war eine geistig gesunde Person, richtig? „Abgesehen von den Selbstgesprächen, geht’s dir prima“, sagte sie laut.
Auf einmal kam das Gefühl der Unrichtigkeit und des Schmerzes — dass sie jemanden im Stich ließ — wieder zurück und übermannte sie. Mit einem Schrei warf sie den Becher, beobachtete, wie er einige Meter von ihr entfernt in Stücke brach.
Es genügte nicht.
Sie rannte zurück. Nach drinnen und packte mehr Gläser und Becher, so viele, wie sie in den Armen tragen konnte. Sie fing an sie zu werfen, zerschmetterte sie alle in tausend Stücke, wobei ihr die Glas- und Porzellansplitter in die Waden stachen. Ihre Unterschenkel waren mit Blut bedeckt, und sie machte ein paar Schritte rückwärts, ging ins Haus zurück und fing an zu weinen.
Kapitel 15
Lucas hatte keine Ahnung, wie lange die Erinnerungen weiter gegangen waren. Stunden? Monate? Er hatte eine unbestimmte Zeit lang hunderte von Jahren wieder durchlebt, und seine Stimme war weg. Er hatte sie sich vor langer Zeit weg geschrien. Wenn er nicht aufrecht angekettet gewesen wäre, wäre er gefallen. Er konnte kaum mehr denken. Alles, was er kannte, war der Tod und das Wissen, dass er der Grund dafür war.
Er hörte Valeries Schritte auf der Treppe und hatte einen Augenblick lang die irrationale Hoffnung, dass sie zurück war. Dass Virginia gelogen hatte, dass die ganze Begegnung irgendeine Art von List gewesen war. Doch als er sie sah, wusste er die Wahrheit. Es war Virginia, die kam, um ihn zu sehen, und Valerie war verschwunden.
Sie lächelte über das getrocknete Blut auf seiner Haut und seinen verlorenen Ausdruck. Sie kicherte, als ein Zittern ihn durchfuhr. Sie trug andere Kleidung. Ein saphirblaues Kleid, und er entschied, dass das ein Anzeichen dafür war, dass Zeit vergangen war.
„Mir gefallen deine Tränen“, sagte sie und berührte seine Wange mit ihrem Finger. „Es ist Zeit zu trinken. Du trinkst mein Blut und ich werde deins trinken.“ Sie streckte ihm Valeries Handgelenk entgegen. Sein Herz donnerte; sein Mund war trocken und sein Kopf hämmerte, als ob jemand mit einer Axt darauf einschlagen würde.
Er brauchte Blut.
Er musste stark bleiben.
Aber jedes Mal, wenn er Valeries Blut trank, wurde ihre Verbindung stärker. Wie viele Male konnte er Virginia noch füttern und dabei er selbst bleiben? Nicht zu einem totalen Junkie werden oder sie sich so sehr in seinem Verstand verwurzeln lassen, dass er nichts weiter als ihre Marionette sein würde?
Vielleicht passierte es beim nächsten Mal.
Vielleicht ist es schon zu spät.
Seine Augen waren geschlossen, sodass der Schmerz ihrer Klinge an seinem Hals überraschend kam. Sie schloss ihren Mund um die Wunde an seinem Hals und trank sein Blut für scheinbar lange Zeit. Alles an ihr war vertraut, aber anders. Sie stand anders, berührte ihn anders. Sogar ihr Geruch war anders. Auf eine Art, die er nicht definieren konnte und wollte.
Valeries Handgelenk war vor seinem Gesicht. Ein kleiner Schnitt zerteilte ihre Haut, und rotes Blut glänzte im Licht.
Er hatte das Gefühl, am Scheideweg zu stehen, und wünschte sich vernünftig genug zu sein, um nach links und rechts zu sehen. Doch sein Verstand und seine Emotionen waren in Aufruhr. Als ob sie jemand anderem gehörten. Einem Verzweifelten und Panischen. Jemandem, der ohne sich umzusehen über die Straße eilen würde und dabei hoffen würde, es zu schaffen.
Der Geruch ihres Blutes machte seine Beherrschung zunichte. Das hier war Valerie. Dieser Duft und diese Süße. Diese Leichtigkeit und Reinheit. Was gab es noch, um das es sich zu kämpfen lohnte, wenn Valerie verschwunden war?
Die Antwort war einfach: nichts.
Wenn Valerie nicht hier war, dann wollte er nichts. Er war dabei gewesen zu sterben, hatte aus Langeweile dahingesiecht. Jahrzehntelang Zeit verloren und alles, was er gefühlt hatte, war Erleichterung. Valerie hatte das geändert. Sie war frisch, aufregend, witzig und einfühlsam. So einfühlsam und emotional, dass er sich gefragt hatte, wie es war, so intensiv zu leben. Er wollte sich an dem Feuer ihrer Seele wärmen, doch jetzt war diese Chance verschwunden.
Zeit hatte keine Bedeutung für ihn gehabt, daher hatte er gezögert. Er hätte früher handeln sollen, sich mehr Zeit geben sollen, um mit ihr zusammen zu sein. Das Gewicht seines Fehlers drückte ihn nieder. Er dachte nicht. Er fühlte nur.
Also trank er.
Die Macht ihres Blutes
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