Liebe kennt keine Gefahren
Familie war mit dem gleichen Ansinnen an sie herangetreten. Kurz — es gab keinen Mann, der nicht wenigstens davon geträumt hatte, sie zu besitzen; doch nun saß da ein Mann, der mit seiner Frage andeutete, daß sie vielleicht keiner haben wollte.
»Ich kann für mich selbst sorgen«, erwiderte Jessica, sich sehr gerade vor ihn hinstellend. »Ich möchte keinen Mann, der mir mir zu Füßen liegt, und auch keinen, der mir sagt, was ich zu tun habe und wie. «
Alexander sah lächelnd zu ihr hoch. »Ich verstehe. « Dann blickte er sie von oben bis unten an. Schon vor Jahren hatte Jess begriffen, daß sie ihr kleines Boot nicht bedienen konnte, wenn sie lange Röcke trug, und so hatte sie sich einen Matrosenanzug für ihre Zwecke zurechtgeschneidert. Sie trug hohe Stiefel unter einer bauschigen Kniehose, und darüber eine lose sitzende Bluse und eine offene Weste. Abgesehen von ihrer schmalen Taille, um die sie den Gürtel sehr eng schnallen mußte, damit ihr die Hose nicht über die Hüften hinunterrutschte, war sie der Kleidung nach von der Mehrzahl der Männer in Warbrooke kaum zu unterscheiden. »Sag mal«, fuhr Alex dann im gelassenen Ton fort, »willst du immer noch die Adresse meines Schneiders haben? «
Das Gelächter der Anwesenden, das nun einsetzte, war lauter, als dieser Scherz dies eigentlich rechtfertigte. Nicht wenige unter ihnen hatten Jessica beobachtet, wenn sie den Kai hinunterging — mit schwingenden Hüften, die ihr Blut in Wallung brachten. Selbst in Männerkleidern war sie offenbar so reizvoll, wie sich das eine Frau nur wünschen konnte.
Eleanor meldete sich zu Wort, um die Spottlust der Männer zu dämpfen: »Vielen Dank für die Aus tern. Vielleicht könntest du uns heute nachmittag ein paar Schellfische bringen. «
Jessica nickte stumm, immer noch empört über die Art, wie Alexander die Leute zum Lachen gebracht hatte, Sie funkelte Alex einen Moment wütend an, ohne die anderen Männer zu beachten, die immer nach kicherten und die Kränkung, die sie erlitten, weidlich genossen. Dann machte sie auf den Absätzen kehrt und verließ das Haus.
Eleanor nahm Alexander den Teller weg, der noch zur Hälfte mit Speisen gefüllt war, die er in dieser Menge unmöglich aufessen konnte, und sah ihn dabei streng an, ohne jedoch ein Wort zu sagen. Schließlich war er der Sohn ihres Arbeitgebers. Sie wandte sich statt dessen Nicholas zu, der am Türpfosten lümmelte: »Bring das hinaus zu den Schweinen! Ein bißchen dalli! «
Nick öffnete den Mund, schloß ihn jedoch wieder und sagte dann mit blitzenden Augen: »Jawohl, Ma’am. Ich hüte mich, einer Frau zu widersprechen. «
Das löste abermals ein Kichern bei den Anwesenden aus, und einen Moment lang fühlte sich Alex wieder in die Gemeinschaft dieser Stadt aufgenommen.
Doch sobald er aufstand — oder aufzustehen versuchte —, hörte das Gelächter sofort auf. Er war nicht an diese Leibesfülle gewöhnt, an die vielen Polster, die einen dicken Bauch vortäuschten, und blieb an der Tischkante hängen. Zugleich spannte der Stoff an Arm und Schulter und zerrte heftig an seiner halb verheilten Wunde. Verwirrt von dem jähen Schmerz und dem Bauch, der ihn am Aufstehen hinderte, brauchte er einige Sekunden, bis er sich befreit hatte und von seinem Piatz erheben konnte.
Für ihn war das nun eher ein Grund zum Lachen - doch für die Anwesenden war es erschütternd.
Als Alex aufblickte, sah er das Mitleid in ihren Augen. Er drehte sich um, damit sie seinen aufflackernden Zorn nicht bemerkten, und verließ den Raum. Es wurde Zeit, diesen John Pitman kennenzulernen.
Er traf ihn auch dort an, wo er ihn vermutete; im Kontor, das den Montgomerys seit drei Generationen für die Erledigung ihrer Geschäfte gedient hatte. Pitman war ein untersetzter, kräftiger Mann mit Stirnglatze. Alex konnte Pitmans Gesicht nicht sehen, da dieser sich weit über die Kontobücher beugte, die auf dem Pult aufgeschlagen lagen. Ehe Pitman zu ihm hochsehen konnte, ließ Alex rasch den Blick durch den Raum gleiten und bemerkte, daß zwei Porträts seiner Vorfahren von den Wänden genommen worden waren und sich ein schweres Vorhängeschloß an einem Schrank befand, der seiner Mutter gehört hatte. Es sah so aus, als wollte dieser Mann sich hier für immer einnisten.
»Ahem«, räusperte sich Alex.
Pitman sah zu ihm hoch.
Was Alex zuerst an diesem Mann auffiel, war der durchbohrende Blick aus großen, starren Augen, die wie schwarze Diamanten glitzerten. Dieser Mann war zu
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