Liebe kommt auf sanften Pfoten
und dann erst die der Hunde zu erfahren.
»Wie befreiend es doch ist, ein wenig Zeit für sich zu haben, nicht wahr?«, fragte sie Minton und blätterte durch die Fernsehzeitung. »Das hättest du auch nicht erwartet, diese Worte einmal aus meinem Mund zu hören, oder?«
Neben ihr klingelte plötzlich das Telefon, und Juliet dachte einen Augenblick darüber nach, es einfach zu ignorieren. Ruth, Bens Mum, redete ununterbrochen über die Erinnerungsbank für Ben, und je mehr Juliet darüber nachdachte, desto mehr regte sie dieses Thema auf. Vor Kurzem hatte Ruth doch tatsächlich erklärt, sie wolle die Bank im Krematorium aufstellen lassen, »wo jeder sie sehen würde«, und nicht etwa dort, wo Ben sich gern hingesetzt hätte, wie zum Beispiel in einem wirklich schön gestalteten Teil des Parks.
Aber wenn sie den Anruf ignorierte, würde sie sich Ruth auf dem AB anhören müssen, was noch schlimmer war. Ihre Nachrichten waren ellenlang und endeten meistens in lautem Schluchzen.
Juliet seufzte und nahm den Hörer ab. »Hallo?«
»Juliet, hier ist Emer«, ertönte die vertraute Stimme. »Hilf mir. Ich muss zu einer dieser schrecklichen Tupperpartys, und ich brauche dringend jemanden, der mich davon abhält, ein Vermögen für Schneebesen und dergleichen auszugeben. Komm bitte mit. Nimm du mein Portemonnaie in Gewahrsam.«
Es war ein schönes Gefühl, gebraucht zu werden, doch Juliet wusste genau, dass sie sofort vom Chaos nebenan vereinnahmt werden würde, sobald sie sich von ihrem Sessel erhob. Die Trauerstunde mochte es vielleicht nicht mehr geben, doch sie brauchte immer noch ein wenig Zeit für sich, um ihre Gefühlswelt davon abzuhalten, wie ein Milchtopf, auf den niemand achtete, überzukochen.
»Ich kann nicht«, erklärte Juliet stur. »Ich passe heute auf Coco auf und habe Mum versprochen, sie heute Abend zu baden.«
»Bade sie morgen. Kauf heute Schüsseln, die du ineinanderstapeln kannst!«
Mintons Ohren spitzten sich, als er ein Geräusch von draußen wahrnahm, und er sprang vom Sessel herab.
»Hör mal, ich muss jetzt leider«, erwiderte Juliet trotz Emers lautstarkem Protest. »Ich glaube, da ist jemand an der Tür. Ich hoffe nicht, dass du das bist. Ruf mich an, wenn ich dich anbrüllen und zurechtweisen soll.«
Sie legte den Hörer auf, und noch während sie dies tat, ertönte wie auf Kommando die Türklingel.
»Du bist mir ja ein schöner Wachhund«, schnaubte Juliet mit Blick auf Coco, die nicht einmal aufsah. »Bleib ruhig liegen, ich geh schon …«
Juliet eilte durch das Wohnzimmer, von dem zwei Wände in einem sanften Salbeigrün erstrahlten, und öffnete fröstelnd die Tür zum Flur, da es mittlerweile merklich kälter geworden war. Es wurde Zeit, die Heizung anzumachen.
Wieder klingelte es. »Moment«, protestierte Juliet, als sie mit dem Sicherheitsriegel kämpfte. Lorcan hatte diesen Riegel zu ihrer »Sicherheit« angebracht, und er klemmte noch ein wenig.
Die Tür schwang auf, und vor ihr stand Louise, die sie verstört anstarrte.
Juliet erinnerte sich mit einem Schlag an ihr Spiegelbild, das sie in einem Fenster am Abend von Bens Tod im Krankenhaus gesehen hatte. Grau, angespannt, irrer Blick, zerraufte Haare – der Anblick von jemandem, vor dessen Bild im Spiegel man sich an Halloween fürchtete. Wirklich furchterregend war die Tatsache, dass Louise offenbar keine Ahnung hatte, wie sie aussah.
»Louise!«, rief Juliet erschrocken. »Was ist passiert?«
Louises Augen brannten und schienen Juliet zu durchbohren. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«, krächzte sie.
»Warum habe ich dir was nicht gesagt?«
»Die Ausstellung. Warum hast du es mir nicht gesagt ?« Schwankend blieb sie auf der Türschwelle stehen. »Hast du das absichtlich getan? War es das? Ist das deine Vorstellung von einer Strafe ?«
»Lou, ich weiß wirklich nicht, was du meinst. Komm doch erst einmal herein.«
Louise bewegte sich keinen Zentimeter, sodass Juliet ihren Arm packte und sie nach drinnen zerrte, bevor Emer sie reden hörte und herüberkam, um mehr zu erfahren.
Sie hat Peter von ihrer Affäre erzählt, vermutete Juliet. Das muss es sein. Entweder das, oder sie erlebt gerade irgendeinen Zusammenbruch. Oder hat sich etwa Michael bei ihr gemeldet?
Juliet zuckte bei dieser Möglichkeit zusammen. Vielleicht hatte Michael sie angerufen, als Peter zu Hause war? Oder hatte Peter eine Mail von Michael gelesen? Löschte Louise eigentlich regelmäßig ihre alten Mails? Oder war etwas anderes
Weitere Kostenlose Bücher