Liebe macht blind - manche bleiben es
zu werden.
Ich habe ja diese Elternsprechtage längst überstanden. Aber ich weiß noch gut, wie unangenehm sie mir waren. Vor Sprechtagen wäre ich noch weit lieber krank geworden als meine Töchter vor Mathe- und Lateinschularbeiten. Warum? Weil ich nicht wusste, wie ich mich dort – Auge in Auge mit den Lehrpersonen – zu verhalten habe!
Locker und aufrichtig? Etwa auch locker meine Ansicht äußernd, dass an Herrn Professors Unterrichtsmethode etwas falsch sein müsse, wenn zwei Drittel der Schüler in seinem Fach Nachhilfe nehmen? Etwa auch aufrichtig zugebend, dass es in Wirklichkeit für mich von sehr zweitrangiger Bedeutung sei, ob mein Kind drei Zeilen „Tacitus“ heftig stammelnd oder fließend aus dem Lateinischen übersetzen könne?
Von solch Elternsprechtagsbetragen rieten mir wohlmeinende Leute ab. Da schade man nur, hieß es, den armen Kindern. Am Sprechtag möge man lieber die Lehrer friedlich und freundlich stimmen, was am ehesten durch Lob erreicht werde. Eine darin versierte Mama machte mir das sogar vor, indem sie kulleräugig säuselte: „Ach, Frau Professor! Die gesamte Elternschaft ist ja so dankbar, dass wir gerade Sie als Klassenvorstand haben. Sie können den Kindern noch etwas fürs Leben vermitteln!“
Tja, keine dumme Methode. Aber so viel Talent zur Verstellung hat nicht jeder. Und Lust dazu auch nicht.
Darum hielt ich es schließlich mit folgender Methode: Ich fragte meine guten Kinder, zu welchen von all ihren Lehrern ich denn „unbedingt gehen“ solle, um nicht unnötig Zeit von Lehrern zu beanspruchen, die mir ohnehin nichts Wesentliches mitzuteilen hätten. Und meine guten Kinder nannten mir dann immer die paar Lehrer, mit denen sie keinerlei Probleme hatten, und ließen die unerwähnt, bei denen ich allerlei „Negatives“ zu hören bekommen hätte. Und ich tat, als würde ich das nicht durchschauen, und sprach nur bei lieben Lehrern vor, die mir viel Erfreuliches über meinen Nachwuchs sagten. So ließ sich ein Sprechtag ganz nett überstehen. Und die Lehrer, auf die meine Kinder „vergessen“ hatten, die meldeten sich im Ernstfall eh mit „blauen Briefen“.
Da war dann ja noch immer Zeit, ihnen – Aug in Aug – gegenüberzutreten.
Meine Biester – deine Biester
„Alles, was recht ist“, sagt Freundin Anna kopfschüttelnd zu mir, „aber wie die Berta ihre Kinder verwöhnt, das ist ja nicht mehr normal, das ist ja wahre Affenliebe! Dem einen macht sie ein Naturschnitzel, dem anderen ein Wiener Schnitzel und dem dritten ein Pariser Schnitzel! Als ob die drei nicht das Gleiche essen könnten. Kein Wunder, dass diese Kinder richtige Biester sind!“
„Also weißt du“, sagt Freundin Berta kopfschüttelnd zu mir, „wie die Anna ihre Kinder verwöhnt, das ist ja direkt grotesk! Die eine kriegt Reitstunden, die andere spielt Tennis und die dritte muss partout im Sommer Schi laufen. Der helle Irrsinn. Kein Wunder, dass diese Kinder richtige Biester sind!“
Kommt der lieben Berta Annas Meinung zu Ohren, schaut sie empört und erklärt, dass die gute Anna verblendet sei und bösartig daherrede, denn Fleisch in dreierlei Versionen auf den Tisch zu bringen sei im Falle ihrer Sprösslinge kein Akt der Verwöhnung, sondern einfachste Notwendigkeit, um die „schlechten Esser“ überhaupt am Leben zu erhalten.
Kommt der guten Anna Bertas Meinung zu Ohren, schaut sie empört und erklärt, dass die liebe Berta komplett „meschugge“ sei, denn sportlich begabte Kinder zu fördern sei einfach Elternpflicht und beileibe kein Akt der Verwöhnung.
Anna sieht auch schon klar in die Zukunft von Bertas Kindern und weiß daher, dass sich die „Biester“ in ein paar Jahren zu regelrechten Ungetümen auswachsen werden, weil Berta leider so „schrecklich inkonsequent“ mit ihren Kindern verfährt und ihnen am Montag verbietet, was sie ihnen am Dienstag erlaubt.
Berta wiederum tun Annas Kinder schrecklich leid. „Die armen Hascherl“, sagt Berta, „können sich ja im Leben überhaupt nicht auskennen. Anna hat keine klare Linie bei der Erziehung. Einmal so und einmal so, das ist für Kinder nicht gut. Kinder brauchen klare Richtlinien!“ Außerdem weiß Berta noch, dass Anna ihre Kinder schlicht überfordert, weil Anna immer erklärt, ihre Kinder seien hoch begabt, aber faul. In Wirklichkeit seien Annas Kinder bloß mittelmäßig begabt und litten enorm unter der Fehleinschätzung der Mutter. Anna hingegen ist klar, dass Berta ihre Kinder quält, weil die Kinder ins
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