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Liebe macht blind - manche bleiben es

Liebe macht blind - manche bleiben es

Titel: Liebe macht blind - manche bleiben es Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
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das kann eigentlich nur einen Grund haben: Sie hören, was sie hören wollen! Und das heißt wiederum: Eltern haben weit lieber „faule“ Kinder als „schwach begabte“ Kinder.
    Warum eigentlich? Jeder von uns weiß doch, dass die meisten der intelligenten Faulen im Leben kläglich scheitern, aber dass es die meisten der gar nicht speziell begabten Fleißigen zu Ansehen und Wohlstand bringen.
    Um fremder Kinder Eltern zu trösten, hätte man diese Erkenntnis auch schnell parat, nur beim eigenen Nachwuchs ist man betriebsblind. Das eigene Kind hat – auf Teufel komm raus – hochintelligent zu sein! Ist ja auch sonnenklar! Schließlich hat es ja die Erbmasse von Papa und Mama, und Papa und Mama waren ja seinerzeit in der Schule ebenfalls hochintelligent (aber faul!). Ganz nebenbei: Seinen Nachwuchs als intelligent, aber faul abzustempeln, ist auch die einfachste Methode, sich mit seinen Problemen nicht befassen zu müssen. Sich damit auseinanderzusetzen, warum ein Kind gelernt und trotzdem nicht die geforderte Leistung erbracht hat, ist schwieriger und müsste auch zu gewissen Einsichten führen.
    Man käme, unter Umständen, zur Erkenntnis, dass ein Kind den X-Quadraten und Y-Dritteln wenig Aufmerksamkeit schenken kann, wenn im Nebenzimmer Papa und Mama streiten. Oder dass ein Kind, nur weil sein Papa großes Interesse für Technik hat, diese Neigung nicht gerade ererbt haben müsse.
    Man käme – vor allem – zur Erkenntnis, dass das Kind ziemlich anders ist, als man gemeint hat. Doch wer will schon solche Erkenntnisse? Zu sagen „Sei nicht faul, lern!“ ist viel bequemer.

Rückmeldung erwünscht?
    Schulnoten, so vernahm ich es im Radio aus einem Interview mit einem Pädagogen, seien für die Schüler unbedingt notwendig, weil Schüler eine „Rückmeldung“ brauchen, an der sie ihre Leistung kontrollieren können. Dieses Statement zauberte mir ein sonniges Lächeln auf die Lippen, weil ich an meine eigene Schulzeit dachte und mich dabei der sonderlichsten „Rückmeldungen“ erinnerte, die ich im Laufe von zwölf Schuljahren erhalten habe. Etwa dieser: Bei der Latein-Schularbeit hinter der Gerti zu sitzen, bringt statt einem Vierer einen Dreier ein, weil die Gerti mit Latein-Deppen ein Einsehen hat und dazu noch im Weiterreichen von Schwindelzetteln eine wahre Meisterin ist.
    Oder: Im Interesse der bevorstehenden Zeugnisnote werde ich der morgigen Mathe-Schularbeit durch Krankmeldung entgehen, denn mein momentaner Wissensstand, „rückgemeldet“ durch ein „Nicht genügend“, könnte meinen Notendurchschnitt von 2,1 auf 2,8 senken und mir im Zeugnis einen Dreier statt eines Zweiers eintragen.
    Ich erinnere mich auch noch recht gut daran, wie ich einmal drei Wochen lang, jeden Nachmittag, für eine Prüfung das Biologie-Buch auf Seite 1 aufschlug, die Seiten 1 und 2 lustlos und murmelnd durchlas und dann das Buch frustriert zuklappte. Um das menschliche Rückgrat ging es auf den beiden Seiten. Und drei Wochen lang kam ich über dieses Rückgrat nicht hinaus! Bei der Prüfung dann, die üblicherweise aus drei Fragen bestand, wurde mir als erste die nach dem menschlichen Rückgrat gestellt, und ich ratschte – wie in Trance – los. Die Frau Professor nickte beglückt und meinte, in meinem Falle könne sie wohl auf die restlichen zwei Fragen verzichten. Man sehe ja, wie vorzüglich vorbereitet ich sei.
    Drei untypische Beispiele für den Noten-Alltag in der Schule? Ich beeide es, meine Schullaufbahn setzte sich aus lauter solchen untypischen Beispielen zusammen. Ohne „fördernde“ Gerti, auch das beeide ich, hätte ich die Matura nie geschafft, denn mein Wissensstand in Latein war zu Zeiten dieser gleich null. Bei der Matura-Arbeit freilich konnte mir die Gerti nicht mehr helfen. Da war „schwindeln“ unmöglich. Aber da musste mir die Frau Professor helfen. Wäre ich nicht durchgekommen, wäre das peinlich für sie gewesen. Das hätte ja bedeutet, dass sie mir sechs Jahre lang falsche „Rückmeldungen“ gegeben hätte!
    Aber man soll nicht ungerecht sein. Durch die Noten konnte ich sehr wohl meine Leistung kontrollieren. Meine Leistung an Schläue, an Unehrlichkeit und Unverfrorenheit. Und sich über diesbezügliches Leistungsvermögen klar zu werden, ist ja wohl ganz nützlich.

Zu wem muss ich gehen?
    Der Termin, zu dem die Halbjahreszeugnisse ausgeteilt werden, nähert sich, und bevor dieses – mehr oder weniger freudige – Ereignis stattfindet, pflegt noch ein Elternsprechtag abgehalten

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