Liebe ohne Skrupel
die eins der beiden Fenster der Zelle umgaben.
»Wir wünschen Euch einen guten Morgen, Beatrice«, rief sie. »Stören wir Euch gerade beim Gebet?«
»Ja, aber das macht nichts. Ich habe Euch bereits erwartet, Mylady.« Aus dem Zelleninneren drang ein Rascheln. Einen Augenblick später erschien Beatrice am Fenster. Sie trug einen verblichenen Nonnenschleier und ein dunkles Kleid.
Sie war eine große Frau Mitte Fünfzig, deren Miene immer von drohendem Unheil und Entsetzen sprach. Vor zehn Jahren, nachdem ihr Mann gestorben war, hatte sie sich für das Leben als Einsiedlerin entschieden, und der Bischof hatte ihrer Bitte stattgegeben. Sie schien mit ihrem Leben in der Abgeschiedenheit recht zufrieden zu sein.
Das Fenster des zweiten Zimmers ihrer kleinen Zelle ging zur Kirche hinaus. Es war so ausgerichtet, daß Beatrice die Gottesdienste verfolgen und sich bei ihren Gebeten vom Anblick des Gotteshauses inspirieren lassen konnte.
Aber jeder im Dorf wußte, daß sie die meiste Zeit an dem anderen Fenster verbrachte, an dem auch Clare und Joanna jetzt standen. An diesem Fenster flossen die Gerüchte wie ein unendlicher Strom.
»Guten Tag, Beatrice«, sagte Joanna.
»Nein«, erwiderte Beatrice grimmig. »Es ist kein guter Tag. Und morgen wird ein noch schlimmerer Tag. Merkt Euch meine Worte, Clare of Desire, Euer Hochzeitstag wird von dem eisigen, grauen Rauch von den Feuern der Hölle angekündigt werden.«
»Das bezweifle ich, Beatrice.“ Clare blickte zum Himmel hinauf, an dem nicht eine einzige Wolke zu sehen war. »In den letzten Tagen war es recht klar und warm. Und ich habe von niemandem gehört, daß ein Sturm kommen soll. Hört zu, ich werde heiraten. Da könnt Ihr mir zumindest Glück wünschen.«
»Das wäre reine Zeitverschwendung“, murmelte Beatrice. »Hört mir gut zu, Mylady, es wird auf der Insel einen gewaltsamen Tod geben, wenn der Höllenhund von Wyckmere seine Braut nimmt.«
Joanna schnalzte mißbilligend mit der Zunge. »Beatrice, das könnt Ihr unmöglich wissen.«
»Ah, aber ich weiß es. Ich habe das Zeichen gesehen!«
Cläre runzelte die Stirn. »Was für ein Zeichen?«
Beatrice beugte sich weiter vor und senkte die Stimme. »Der Geist von Bruder Bartholomäus geht wieder um.«
Joanna rang nach Luft. »Beatrice, das ist einfach lächerlich.«
»Ja, pflichtete Clare ihr mit heiserer Stimme bei. »Ihr glaubt doch wohl nicht allen Ernstes an Geister, Beatrice.«
»Ich glaube an das, was ich weiß«, beharrte Beatrice auf ihrer Meinung. »Und ich habe den Geist gesehen.«
»Unmöglich«, sagte Clare.
»Euer Zweifel bringt Euch in Gefahr, Mylady. Es ist seit langer Zeit bekannt, daß jedes Mal, wenn Bruder Bartholomäus innerhalb der Mauern dieses Klosters auftaucht, irgend jemand eines gewaltsamen Todes stirbt.«
Cläre seufzte. »Beatrice, die Legende von Bruder Bartholomäus und Schwester Maud ist nichts weiter als ein altes Ammenmärchen, das erzählt wurde, um die Kinder dazu zu bringen, ihren Eltern zu gehorchen, mehr nicht.«
»Aber ich sage Euch, ich habe den Geist mit eigenen Augen gesehen.«
»Wann war das?«
»Kurz nach Mitternacht.« Beatrice bekreuzigte sich. »Der Mond schien hell genug, um zu erkennen, daß er eine schwarze Kutte trug. Er hatte sich die Kapuze über den Kopf gezogen, damit niemand seinen blanken Schädel sah. Er stand vor dem Pförtnerhäuschen und als Schwester Maud nicht erschien, um mit ihm zusammen fortzugehen, ging er direkt durch das Tor hindurch, um sie zu suchen.«
»Das Tor ist nachts verschlossen«, sagte Clare geduldig. »Und Schwester Maud ist seit über fünfzig Jahren tot. Gott sei ihrer Seele gnädig.«
»Das Tor hat sich für den Geist geöffnet«, erklärte Beatrice. »Zweifellos hat er es mit Schwarzer Magie aufgeschlossen. Ich habe gesehen, wie er das Grundstück betreten hat und durch den Garten gegangen ist. Dann ist er verschwunden.«
»Ihr habt bestimmt geschlafen und geträumt, Beatrice«, sagte Clare. »Macht Euch keine Sorgen. Bruder Bartholomäus würde es nicht wagen, das Grundstück dieses Klosters zu betreten. Er weiß ganz genau, daß er es dann mit der Priorin Margaret zu tun bekäme. Sie würde es nicht zulassen, daß irgendein Geist in den Klostergärten herumspaziert.«
»Ihr beliebt zu scherzen, Lady of Desire, aber Ihr werdet bald genug die Wahrheit erfahren«, sagte Beatrice. »Ich sage Euch, Eure Hochzeit mit dem Höllenhund von Wyckmere hat den Geist von Bruder Bartholomäus geweckt. Und bald nach
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