Liebe stand nicht auf dem Plan
sprichst«, bellt er zurück. »Du fickst ja mit Kerlen im gefährdeten Alter …«
Maika lässt die Handschuhe vor ihm auf den Boden fallen und geht.
Mehmet sieht ihr nach und schnauzt dann Dali an: »Raus!«
Dali schaut zwischen allen hin und her und schließt sich Maika an. Zurück bleiben Keath, Mehmet und Nora, wobei Nora nur Mehmet für zurückgeblieben hält.
»Mehmet, reiß dich zusammen«, sagt sie, und es klingt wie eine Warnung.
Keath schluckt. Nicht, weil Nora mit dem Selterswasser nicht rüberkommt, sondern weil sie seit einer Minute mit Mehmet dicht an dicht den Kopf zusammensteckt, dass es aus seiner Perspektive aussieht, als würden sie an einem Zungenkuss proben. Erst als sie den Kopf dreht und er ihren Blick auffängt, hält er es für wahrscheinlicher, dass sich die beiden streiten. Er ist erleichtert. Nora winkt ihm mit der Wasserflasche zu und lässt Mehmet einfach stehen. Wenn sie fertig werden wollen, muss was passieren. Ein Schrubbertänzchen ist nicht mehr drin. Smalltalk üben ist nicht mehr drin, nur üble Schufterei in mieser
Atmosphäre. Und wenn sie Keaths Gesichtsausdruck richtig deutet, hat der auch schon keine Lust mehr, unter diesen Bedingungen zu arbeiten.
Die Ellenbogen auf der klebrigen Theke, den Kopf in die Hände gestützt, fragt sich Mehmet, wie er sich jemals einbilden konnte, alles zu schaffen. Bei der nächsten Gelegenheit wird Maika Leif stecken, dass er komplett überfordert ist. Recht hat sie, vermutlich ruft sie ihn gerade an. Ist mir doch scheißegal, denkt er, als hinter ihm jemand laut seinen Namen sagt.
Mehmet gefriert das Blut in den Adern, und er dreht sich langsam um. »Hallo, Tante Ayshe …«
Sie ist total aus dem Häuschen, das sieht er sofort. Für ihn kann das nur eine weitere Katastrophe bedeuten.
»Du musst mir helfen, Mehmet.«
So fängt jeder verdammte Satz an, den irgendwer aus seiner Familie zu ihm sagt. Du musst … »Was?«
Keine Antwort. Sie sieht sich erst mal um, und was sie sieht, gefällt ihr nicht. »Du sollst nicht hier arbeiten.«
Alle Sätze, die seine zahlreichen Familienmitglieder an ihn richten, die nicht mit »du musst« anfangen, fangen mit »du sollst« an. »Was?«
»Ich hab auf dem Fest meinen kleinen Ohranhänger verloren. Such ihn bitte, Mehmet, mein Sohn. Er hat eine große Bedeutung für mich.«
Mehmet schließt die Augen. Das kann nicht wahr sein. Was denkt seine Sippe, was er tut, wenn er sagt, er geht arbeiten! Vor seinen geschlossenen Augen spielt sich eine Szene ab, eine vermutlich durch Stress ausgelöste Vision: Er sieht seine Tante Ayshe mit Semiha, der Nichte von Arslan Gencer, auf sich zusteuern. Arslan Gencers Schwefelaugen sieht er nicht, ist sich
aber sicher, dass der ihn keine Sekunde aus dem Blickfeld lässt. Jeder weiß, man muss Arslan Gencer einladen, sonst kriegt man Schwierigkeiten. Aber noch wichtiger ist es, ihn zu meiden. Keiner begibt sich freiwillig in seine Nähe. Mit seiner Nichte labern, hallo, wie geht’s, blabla, wäre also ganz blöd, weil Arslan Gencer der Pate, das Böse, der … keiner weiß genau, was … ist. Auf jeden Fall geht man ihm aus dem Weg, wenn man sich nicht unbedingt Ärger einhandeln will. Und dann hat Mehmet plötzlich deutlich vor Augen, wie seine Tante Ayshe gegen die Säule knallt. In Zeitlupe nimmt sie die Hand hoch und reibt ihren Schädel und ein kleiner, blau funkelnder Stein fällt langsam zu Boden, hüpft, kullert herum. Da liegt er!
Mehmet öffnet die Augen, zieht sein Handy aus der Tasche.
»Sami, im Vereinsraum an der dritten Säule von rechts liegt ein kleiner blauer Anhänger von deiner Mutter auf dem Boden. Geh, hol ihn,jetzt, und gib ihn ihr. Kapiert?«
Dann schiebt er seine Tante zur Tür.
Ihr wäre es lieber, Mehmet würde sich selbst darum kümmern. »Aber wie kannst du das sagen, Mehmet? Woher willst du das wissen?«
Sie widersetzt sich seinem Versuch, sie abzuschieben, und stemmt ihre Absätze in den Boden. Aber er lässt sich nicht aufhalten. Er muss jetzt wirklich ran, und bei der nächsten Gelegenheit wird er seiner Familie ein für alle Mal klarmachen, dass sie ihn seiner Arbeit nachgehen lassen müssen.
Er wartet, bis Tante Ayshe den Hinterhof verlassen hat. Maika ist nicht zu sehen, aber der Typ, dem Nora Musik besorgt hat, schließt gerade sein Fahrrad auf. »Bist du’n Tourie?«
Der Typ schüttelt den Kopf.
»Willst du’n Job?«
»Wos’n für an Job?«
Ein Hamburger ist der definitiv nicht. »Deutschland putzen. Für
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