Liebe stand nicht auf dem Plan
Kraft, klar artikuliert und mit Interpunktion ins Headset-Mikro.
»Aufgabe 6 – Absatz – Newton geht über Aristoteles hinaus – Doppelpunkt – Ein Körper bleibt im Zustand der Ruhe – Schrägstrich – der gleichförmigen Bewegung – Komma – wenn keine Kraft auf ihn einwirkt – Punkt«
Das Spracherkennungsprogramm überträgt es in Text.
Yolanda platzt herein.
»Geh schlafen«, sagt Nora.
»Jetzt mach aber mal ’n Punkt …« Yolanda begreift, dass ihre
Tochter mit dem Computer gesprochen hat. »Du sollst doch deine Aufgaben handschriftlich abgeben. Warum tust du’s nicht und ersparst dir den Ärger?«
»Hab leider die Hände nicht frei.«
Das sitzt. Yolanda weiß, dass sie Nora mit dem Versandhandel neben Job und Schule viel Arbeit aufhalst. Aber Nora ist einfach schneller als sie. Ihr Blick fällt auf einen vollgekritzelten Zettel. »Na, die Matheaufgaben hast du ja handschriftlich gemacht.«
Kein Widerspruch, obwohl die Zahlenkolonnen keine Mathehausaufgaben sind, sondern der Underage-Club-Businessplan. Das Ergebnis: Wenn 50 Leute 7 € Eintritt zahlen, sind die geschätzte Clubmiete und das DJ-Honorar plus Einlass- und Getränkedienst gedeckt. Alle zusätzlichen Gäste, also 250, denn Nora ist sich sicher, dass es einschlägt wie eine Bombe, bringen Kapital für den künftigen eigenen Club. Saft, Cola, Limo, Wasser wird sie selbst besorgen, das wirft auch noch was ab, und für Plakatwerbung hat sie Dali ins Auge gefasst, der kann auf schon geklebte Plakatflächen sprühen. Wenn sie Leif dazu kriegt, dass sie regelmäßig und zwar mindestens einmal pro Woche (zweimal wäre natürlich noch besser) den Club für ihr Underage-Programm haben kann, ist Flüsterpropaganda sowieso wirkungsvoller. Nora wird es durchziehen. Gemeinsam würde es mehr Spaß machen, aber wenn die es nicht raffen, bitte, dann eben nicht. Die Partys in der Schule sind na ja bis schlimm. Im Jugendhaus ganz okay. Im Beatkeller der Kirche – wem ’s gefällt. Feiern kann man an den unglaublichsten Orten. Aber sie will Bands unter achtzehn. Ihre Musik. Mehmets Mix, wenn der nicht so blöd wär. Und keine Nase über achtzehn. Auch Keath nicht. Dann muss sie sich einmal nicht mit ansehen, wie die Weiber ausrasten, wenn er tanzt.
»Priscilla? Was ist los mit dir?«
Bei all den Grübeleien hat sie vergessen, dass Yolanda immer noch neben ihr steht. »Nichts. Trinken wir noch ’n Tee, bevor ich die Päckchen zur Post bringe?«
Yolanda freut sich. Sie haben selten Zeit, zu plaudern.
Nora versenkt die Päckchen in die Einkaufskarre und die CDs und USB-Sticks in die Innentaschen ihrer Jacke, packt die Hausaufgaben weg und folgt ihr.
»Wieso sagst du nie Nora? Babka tut’s doch auch.«
»Wenn sie mit mir über dich spricht, nie. Du sagst zu mir auch nie Matka oder Mama, immer nur Yolanda, oder Yola, wenn du was willst.«
»Sag du Nora, dann sag ich Mutti.«
»Was hast du gegen Priscilla und Maria?«
»Bloß das Gefühl, dass sie nicht mich meinen, sondern den Arsch vom King.«
»Bitte!« Gespielte Entrüstung, dabei genießen sie die Kabbelei.
»Wenn du was von mir willst und Priscilla schreist, denk ich immer, du schreist nach Elvis, damit er dir den …« Pause. Nora schlürft heißen Tee.
Yolanda zieht die Augenbrauen zusammen.
»… Rücken kratzt.«
Ein Butterkeks fliegt mit hoher Geschwindigkeit auf Nora zu, zerschellt auf ihrer Brust und zerbröselt. Mutti schmeißt Essen – das sollte ihr, Nora, mal einfallen! »Ein Körper bleibt nicht im Zustand der gleichförmigen Bewegung und Ruhe, wenn eine Kraft auf ihn einwirkt«, fasst sie den Vorfall zusammen, sammelt die Brösel und bildet ein Häufchen auf dem Esstisch. »Wir wissen alle, dass du weg bist, wenn Elvis aus seinem Grab steigt und fragt, ob du mit ihm kommst.«
»Quatsch.«
»Ach komm, du würdest uns sofort verlassen.«
»Ja klar, ab nach Graceland mit Elvis the Pelvis. Nach dreiunddreißig Jahren in der Gruft hat er bestimmt so eine schöne Haut wie du. Und abgenommen hat er auch.«
»Wen man liebt, dem saugt man gern das Fett ab«, sagt Nora beiläufig und erfreut sich an dem Schauspiel, wie sich Yolanda vor Ekel schüttelt, während sie singt: »Love me tender, love me long, take me to your heart …«
»Wir müssen noch den Urlaub planen«, lenkt Yolanda ab.
»Welchen?« Nora kann sich nicht vorstellen, dass jetzt schon die Rede von den Sommerferien sein soll.
Aber so ist es. Ihr Vater muss Urlaub nehmen, alles will gut durchdacht sein.
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